Schlaftrunkenheit

Jeder Siebte ist beim Aufwachen oft von der Rolle

Sie pinkeln in den Kleiderschrank, schlagen um sich oder versuchen, mit der Wasserflasche am Bett zu telefonieren: Schlaftrunkene sind beim Erwachen verwirrt und noch nicht in dieser Welt. Manche brauchen eine Therapie.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Schlaftrunkene sind zwar irgendwie wach, aber nicht richtig bei Bewusstsein.

Schlaftrunkene sind zwar irgendwie wach, aber nicht richtig bei Bewusstsein.

© Franck Camhi / iStock / Thinkstock

STANFORD. Das Gefühl kennt sicher jeder: Wenn nach einer langen oder durchzechten Nacht der Wecker klingelt, dauert es eine Weile, bis die Lebensgeister in die Glieder steigen und sich Geist und Körper darauf einigen, das Bett zu verlassen.

Mit dem, was Schlafforscher als "Schlaftrunkenheit" bezeichnen, hat ein solcher übernächtigter Zustand jedoch nichts zu tun.

Schlaftrunkene sind zwar irgendwie wach, aber nicht richtig bei Bewusstsein: Sie pinkeln in den Kleiderschrank, weil sie ihn für die Toilette halten, oder versuchen, mit der offenen Wasserflasche neben dem Bett zu telefonieren, was womöglich in einer unfreiwilligen Dusche endet, erläutert der Schlafforscher Dr. Michael Thorpy vom Montefiore Medical Center's Sleep-Wake Disorders Center in New York City.

Auch aggressives Verhalten wie wildes Um-Sich-Schlagen gehört zum Repertoire der Betroffenen. In der Regel dauert der Zustand nur wenige Minuten, dann verschwindet der Nebel im Kopf und die Schlaftrunkenen sehen wieder klar.

Etwa acht Prozent haben wöchentlich Episoden

Obwohl immer mal wieder Patienten von solchen Episoden berichten, ist noch wenig über die Störung bekannt. Ein Team um den Schlafforscher Dr. Maurice Ohayon von der Universität in Stanford hat sich nun die Mühe gemacht, in einer eigenen Untersuchung die Häufigkeit der Schlaftrunkenheit oder des "verwirrten Aufwachens" (confusional arousal) genauer zu untersuchen.

Sie befragten in einer repräsentativen Untersuchung über 19.000 US-Bürger zu einer Reihe von Schlafstörungen, Schlafgewohnheiten, Alkohol-, Drogen und Tablettenkonsum sowie zu bestehenden Erkrankungen (Neurology 2014; 83:834-41).

Insgesamt beendeten 83 Prozent der Teilnehmer das Interview, von diesen knapp 16.000 Bürgern konnten sich 15,2 Prozent an mindestens ein Schlaftrunkenheitserlebnis in den vergangenen zwölf Monaten erinnern - und von diesen hatte mehr als die Hälfte (54 Prozent) sogar mindestens eine Episode pro Woche.

Danach wäre also jeder Siebte betroffen, etwa acht Prozent sogar regelmäßig. Bei wiederum mehr als der Hälfte (56 Prozent) bestand das Problem schon seit mehr als fünf Jahren.

Ein Drittel berichtete über eine sehr kurze Dauer der Episoden (weniger als fünf Minuten), etwa 30 Prozent befanden sich für mehr als 15 Minuten in diesem Dämmerzustand. Die meisten der Betroffenen (92 Prozent) konnten sich anschließend gut an das Geschehene erinnern, nur wenige mussten von Freunden oder Angehörigen über ihr Verhalten aufgeklärt werden.

Ðie meisten litten an Insomnien oder Hypersomnien

Schauten die Schlafforscher um Ohayon nun nach Begleiterkrankungen, so fiel auf, dass etwa 70 Prozent der Betroffenen an Insomnien oder Hypersomnien litten, auch eine Schlafapnoe oder ein RLS war häufiger anzutreffen als in der Allgemeinbevölkerung. Eine psychische Störung wurde bei 37 Prozent festgestellt, am häufigsten waren dies Patienten mit Depression, bipolarer Erkrankung und Dysthymien.

Umgekehrt fand sich eine Schlaftrunkenheit bei Befragten mit diesen Störungen vier- bis fünffach häufiger als bei den übrigen Teilnehmern. Entsprechend häufig ging die Schlaftrunkenheit auch mit der Einnahme von Psychopharmaka einher, vor allem mit Antidepressiva.

Dagegen wurden typische Schlafmittel und Anxiolytika von den Schlaftrunkenen nicht häufiger genommen als von den übrigen Teilnehmern. Etwa zwei Drittel der Betroffenen gaben jedoch an, keinerlei psychotrope Medikamente oder Substanzen zu verwenden.

Letztlich gingen die Episoden bei 99 Prozent der Betroffenen mit psychischen oder organischen Erkrankungen einher, nur ein winziger Bruchteil war sonst kerngesund. Für die Schlafforscher um Ohayon ist Schlaftrunkenheit daher ein Hinweis auf eine andere Erkrankung wie eine Insomnie, Depression oder Schlafapnoe. Solche Erkrankungen sollten daher bei Patienten mit verwirrtem Aufwachen abgeklärt werden.

Wenn die Schlaftrunkenheit häufig auftritt und stark belastend ist, so könne eine Therapie mit Medikamenten wie Benzodiazepinen versucht werden, rät der Schlafforscher Thorpy. Diese verkürzen die Tiefschlafphasen. Schlaftrunkenheit tritt besonders häufig auf, wenn Personen aus dem Tiefschlaf gerissen werden.

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