Lustpille für Frauen

Kritiker zweifeln an Wirksamkeit

Geringe Wirksamkeit, deutliche Risiken: Kritiker werfen der US-Behörde FDA vor, sie habe sich bei der Zulassung der Lustpille für die Frau von einer großen Kampagne steuern lassen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Flibanserin soll die Lust auf Sex bei Frauen steigern können. Aufregung gibt es um die Zulassung: War sie politisch motiviert?

Flibanserin soll die Lust auf Sex bei Frauen steigern können. Aufregung gibt es um die Zulassung: War sie politisch motiviert?

© Igor Mojzes / fotolia.com

NEU-ISENBURG. "Even the Score" nennt sich der Feldzug von 26 US-Organisationen für die Gleichberechtigung in der Sexualmedizin. Der Vorwurf: Es dreht sich alles nur um die männliche Sexualität.

Der Beweis: Es sind 26 Medikamente für besseren Sex für Männer zugelassen, aber bis vor kurzem kein einziges für Frauen. Seit einigen Tagen ist das nun anders.

Mit Flibanserin gibt es erstmals ein luststeigerndes Mittel für das weibliche Geschlecht. Es steht nun 26 zu 1.

Die vom Flibanserin-Hersteller Sprout Pharmaceuticals mitfinanzierte Kampagne hat somit ein wichtiges Ziel erreicht. "Danke, FDA" heißt es in einem Werbespot.

Sexismus-Vorwurf stand im Raum

Eigentlich sollte es einer Zulassungsbehörde egal sein, ob irgendwelche Interessengruppen sich für oder gegen ein Medikament positionieren. Doch das dürfte nicht einfach sein, wenn ganz offen der Vorwurf des Sexismus in der Luft liegt.

"Die FDA hat eine Zulassung von Flibanserin zweimal abgelehnt, weil die Risiken den Nutzen überwiegen. Das einzige, was wir seit der letzten Ablehnung gelernt haben, ist, dass das Medikament noch mehr Nebenwirkungen hat, als angenommen", wird die Pharmakologin Professor Adriane Fugh-Berman von der Georgetown University in Washington in der "Washington Post" zitiert.

Für sie gab die "clevere und aggressive PR-Kampagne" von "Even the Score" den Ausschlag für die Zulassung. "Ein schlechter Tag für die Arzneimittelregulierung."

Viele Frauenrechtlerinnen, Psychologen und Gynäkologen sehen das jedoch ganz anders: Vom größten Fortschritt in der Sexualmedizin seit der Pille ist hier die Rede.

Zu einer weiteren sexuellen Revolution wird die pinkfarbene Lustpille, die unter dem Namen Abbyi™ vertrieben wird, aber sicher nicht führen. Dafür dürfte schon das Nebenwirkungsprofil sorgen. Die Zulassung geht mit einer Warnung für einen ernsten Blutdruckabfall und Synkopen einher.

Daher darf die täglich einzunehmende Pille nicht mit Alkohol kombiniert werden. Gänzlich auf Alkohol zu verzichten, dürfte aber vielen Frauen schwerfallen. Kontraindiziert ist das Medikament auch bei gleichzeitiger Therapie mit moderaten oder starken CYP3A4-Hemmern.

Aus solchen Gründen muss das Mittel in den USA von speziell geschulten Ärzten verordnet und von zertifizierten Apotheken abgegeben werden.

Nur 10 Prozent können profitieren

Von der Wirkung sollten sich Frauen ebenfalls nicht allzu viel versprechen. So hinkt der Vergleich mit Viagra gewaltig: Letzteres sorgt über eine Entspannung der glatten Penismuskulatur für eine bessere Erektion beim Mann - ein relativ simpler und effektiver Mechanismus, der bei 80 bis 90 Prozent der Männer mit Potenzproblemen anschlägt.

Von Flibanserin haben in Studien hingegen nur 10 Prozent der Frauen mit sexueller Unlust profitiert. Das Mittel wirkt zentralnervös als Agonist am Serotoninrezeptor 5-HT1A und als Antagonist an 5-HT2A sowie als partieller Agonist am Dopaminrezeptor D4.

Flibanserin dämpft so die Freisetzung von Serotonin und erhöht die dopaminerge und noradrenerge Transmission: Das sexuelle Verlangen wird so etwas gesteigert. Flibanserin ist also eher mit dem ebenfalls zentralnervös wirkenden Dopaminagonisten Apomorphin aus der Vor-Viagra-Ära zu vergleichen.

Grundlage für die Zulassung waren Daten von drei Phase-III-Studien mit 2400 Frauen vor der Menopause, bei denen Ärzte eine hypoaktive Sexualfunktionsstörung (HSDD) festgestellt hatten.

Eine solche Kondition liegt vor, wenn sexuelle Unlust nicht durch Stress, körperliche Belastung oder organische Ursachen zu erklären ist. Sowohl die Diagnose HSDD als auch die Prävalenz der Störung, die irgendwo zwischen 10 und 40 Prozent liegen dürfte, sind umstritten.

In den Studien stieg die Zahl der befriedigenden sexuellen Ereignisse unter Flibanserin (100 mg/d) von etwa 3 auf 5 pro Monat, mit Placebo auf 4 bis 4,5. Der Unterschied von 0,5 bis 1 Ereignissen pro Monat war zwar gering, aber signifikant.

Nur 10 Prozent mehr Frauen unter Flibanserin als unter Placebo berichteten über eine bedeutsame Verbesserung des Sexualverlangens, des Geschlechtsverkehrs oder des damit verbundenen Stresses.

Das mag in der Tat sehr wenig sein, doch sollte man in der Diskussion nicht vergessen, dass die Wirksamkeit bei vielen Potenzmitteln für Männer in der Zeit vor Viagra auch nicht besser war.

Es ist daher nicht ganz fair, einen Vergleich mit PDE-5-Hemmern zu ziehen. Vielleicht war auch diese Erkenntnis ein Grund für die Zulassung der ersten Lustpille für Frauen.

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