Junge Patienten

Diabetesrisiko unter Antipsychotika stark erhöht

Jugendliche und junge Erwachsene entwickeln unter Antipsychotika gehäuft einen Typ-2-Diabetes. Das liegt nur zum kleinen Teil an der psychischen Störung - ein erheblicher Part des Risikos lässt sich auf die Medikation zurückführen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Unter der Einnahme von Antipsychiotika steigt das Diabetes-Risiko bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen erheblich.

Unter der Einnahme von Antipsychiotika steigt das Diabetes-Risiko bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen erheblich.

© Monkey Business / fotolia.com

GLEN OAKS. Die Lebenserwartung ist bei Schizophreniepatienten noch immer um 20-30 Jahre verkürzt. Neben dem Tabakkonsum und seinen Folgen liegt dies vor allem am erhöhten Risiko für kardiometabolische Erkrankungen, wie eine vor kurzem veröffentlichte Analyse nahelegt.

Gründe für das erhöhte Risiko sind ein ungesunder Lebensstil und genetische Faktoren, aber auch die Therapie mit Antipsychotika trägt dazu bei. So sind Gewichtszunahme, reduzierte Glukosetoleranz, Insulinresistenz und Dyslipidämie bekannte Begleiterscheinungen einer Behandlung mit modernen Neuroleptika bei Erwachsenen.

 Inzwischen gibt es Hinweise, dass solche Effekte bei Jugendlichen noch verstärkt auftreten. "Kardiometabolische Nebenwirkungen scheinen schneller und in einem größeren Ausmaß aufzutreten als bei Erwachsenen.

Sie führen zu einer relevanten Gewichtszunahme bei einem signifikanten Anteil der Jugendlichen", schreiben Psychiater um Dr. Britta Galling vom Zucker Hillside Hospital in Glan Oak.

Da Antipsychotika nicht nur im Schizophrenie-Spektrum, sondern zunehmend auch bei anderen Erkrankungen wie bipolaren Störungen verordnet werden, solle verstärkt an die möglichen Konsequenzen gedacht werden.

13 Studien analysiert

Mit welchen Konsequenzen Ärzte rechnen müssen, haben die Psychiater um Galling anhand einer Metaanalyse evaluiert (JAMA Psychiatry 2016; 73:247-259). Sie berücksichtigten dabei nur solche Studien, in denen bei jeweils mindestens 20 Patienten im Alter von weniger als 24 Jahren ein Typ-2-Diabetes während einer Antipsychotikabehandlung diagnostiziert worden war.

 Insgesamt stießen sie auf 13 Untersuchungen mit über 1,8 Millionen Teilnehmern, darunter befanden sich über 185.000 Minderjährige und junge Erwachsene mit Antipsychotika. Elf der Untersuchungen basierten auf retrospektiven Registeranalysen, zwei auf prospektiven Kohortenstudien und eine auf den gepoolten Daten von sechs Interventionsstudien mit Olanzapin.

Im Schnitt war die Zielgruppe der jungen Erwachsenen und Minderjährigen 14 Jahre alt, knapp 60 Prozent waren männlich. Die meisten hatten die Antipsychotika aufgrund von Verhaltensstörungen, ADHS oder Depressionen bekommen, nur 16 Prozent aufgrund einer bipolaren Störung und rund 6 Prozent aufgrund einer Psychose.

 94 Prozent erhielten atypische Neuroleptika, am häufigsten Risperidon (42 Prozent), gefolgt von Quetiapin (27 Prozent), Aripiprazol (17 Prozent) und Olanzapin (10 Prozent).

Über alle Studien gemittelt erkrankten während der durchschnittlichen Beobachtungsdauer von 2,3 Jahren 5,7 von 1000 jungen Patienten mit Antipsychotika neu an einem Typ-2-Diabetes - das entsprach einem Anteil von 3,1 Promille jährlich.

Diese Inzidenzrate verglichen die Forscher um Galling mit der von rund 1,3 Millionen psychisch Kranken im vergleichbaren Alter, die keine Antipsychotika erhielten, aber ein ähnliches Erkrankungsspektrum aufwiesen. Hier lag die Rate nur bei 1,74 Promille jährlich. Sie war damit nur wenig höher als bei psychisch Gesunden im vergleichbaren Alter (1,28 Promille).

Diabetesinzidenz verdreifacht

Verglichen mit psychisch Kranken ohne Antipsychotika war die Diabetesrate bei denen mit solchen Medikamenten verdoppelt und im Vergleich zu Gesunden um den Faktor 2,6 erhöht, die Diabetesinzidenz war verglichen mit Gesunden sogar verdreifacht.

Psychisch Kranke ohne Antipsychotika zeigten im Vergleich zu Gesunden dagegen nur eine um rund 60 Prozent erhöhte Diabetesrate. Wurden alle Personen über 18 Jahren ausgeschlossen, änderte sich an den Zahlen wenig.

Die Diabetesrate scheint mit der kumulativen Antipsychotikadosis zu steigen, unterschiedliche Risiken für die einzelnen Antipsychotika ließen sich nicht klar herausarbeiten, hier gab es in den Studien zum Teil widersprüchliche Ergebnisse. Recht konsistent war jedoch die Risikoerhöhung für Olanzapin.

Als Konsequenz aus der Analyse fordern die Psychiater um Galling ihre Kollegen auf, gerade bei jungen Patienten ohne Psychose solche Medikamente nur vorsichtig einzusetzen und es zunächst mit anderen Arzneien zu versuchen. Und wenn, dann sollten sie Antipsychotika möglichst nur kurzfristig verordnen, weil das Diabetesrisiko mit der Behandlungsdauer steigt.

Zugleich sei es bei jungen Patienten erforderlich, kardiometabolische Risikofaktoren unter einer Antipsychotikatherapie streng zu überwachen.

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