Hoffnung auf neue Impfung

Mit Schlammbakterien gegen Traumata

Machen moderne Hygiene und Antibiotika den Menschen zu schwach? Die Immunisierung mit Umweltbakterien könnte in der Tat Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) sowie weiteren stressbedingten Krankheiten vorbeugen, zeigen nun Versuche mit Mäusen - und bringen so Hoffnung für traumatisierte Soldaten.

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Dauerbelastung im Kriegsgebiet: Ein Soldat bewacht ein Sanitätszelt. Eine Impfung mit Umweltbakterien könnte PTBS vorbeugen.

Dauerbelastung im Kriegsgebiet: Ein Soldat bewacht ein Sanitätszelt. Eine Impfung mit Umweltbakterien könnte PTBS vorbeugen.

© Gambarini / dpa

ULM. Eine Impfung mit Bakterien, die im Schlamm von Gewässern vorkommen, könnte Posttraumatischen Belastungsstörungen sowie weiteren stress- und traumaassoziierten Erkrankungen vorbeugen. Das schließen Forscher um Professor Stefan Reber von der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie aus den Ergebnissen einer Studie im Tiermodell (PNAS 2016; online 13. April).

In der Untersuchung fanden sie eine Resilienz-steigernde Wirkung einer Impfung mit Mycobacterium vaccae bei Mäusen.

Die Hypothese der Forscher: Umweltbakterien, denen Menschen dank moderner Hygiene und Antibiotika nur noch selten ausgesetzt sind, regulieren das Abwehrsystem und verhindern bei Stress überschießende Immunreaktionen. Gemäß dieser "old friends"-Hypothese kommen körperliche und psychische entzündliche Erkrankungen, die durch Stress ausgelöst werden, bei Menschen mit geringem Kontakt zu diesen Mikroorganismen vermehrt vor.

Impfung mit den "alten Freunden"

Solche Umweltbakterien, die sogenannten "old friends", lernt die körpereigene Abwehr nämlich zu tolerieren. Fehlt dieser Gewöhnungseffekt, wird das Immunsystem durch jeden Reiz beziehungsweise Stressor aktiviert. Ob sich solche Reaktionen durch eine Impfung mit inaktivierten Umweltbakterien verhindern lassen, hat jetzt eine internationale Forschergruppe mit Reber im Mausmodell untersucht.

Für die Vermutung der Wissenschaftler gab es verschiedene Anhaltspunkte: "Bereits 2002 haben Forscher gezeigt, dass eine Atemwegsinfektion bei Mäusen durch die Immunisierung mit den Umweltbakterien abgeschwächt werden konnte - veranlasst durch die Regulierung des Abwehrsystems", berichtet Reber in einer Mitteilung der Universität Ulm.

Auch ergab sich in Studien eine stimmungsaufhellende Wirkung von Mycobacterium vaccae und eine Förderung der aktiven Stressbewältigung ("coping").

Passiver im Revierkampf

In ihrer Studie haben die Wissenschaftler männliche Mäuse mit inaktivierten Bakterien immunisiert. Dann brachten sie diese Tiere und eine Kontrollgruppe in eine psychosoziale Stresssituation: Die Nager wurden in einen Käfig zu einer älteren, männlichen Maus gesetzt, die diesen als ihr Territorium betrachtete.

Ergebnis: Bei den Revierkämpfen zeigten ungeimpfte Tiere einen passiven Umgang mit der Stresssituation, gekennzeichnet durch unterwürfiges und ängstliches Verhalten. Außerdem entwickelten sie eine Darmentzündung.

Der Effekt der Impfung hat dann selbst die Wissenschaftler überrascht: "Man konnte sofort erkennen, welche Mäuse immunisiert worden waren. Sie zeigten fast keine Unterwürfigkeit gegenüber dem dominanten Männchen, also eine sehr aktive Stress-Bewältigungsstrategie.

Im Vergleich mit der Kontrollgruppe ließen sich bei den geimpften Tieren zudem nur halb so viele Flucht- und Vermeidungshandlungen nachweisen", wird Reber in der Mitteilung zitiert. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe zeigten die immunisierten und chronisch gestressten Mäuse außerdem weniger Ängstlichkeit und entwickelten keine Darmentzündung. Demnach scheint die Immunisierung mit dem Umweltbakterium offenbar die Stress- und Trauma-Resilienz zu fördern.

Soldaten als Zielgruppe

Weitere Untersuchungen ergaben, dass sich das Darm-Mikrobiom bei allen gestressten Mäusen verändert hatte und dadurch Entzündungen begünstigt wurden. Auch schützte die Impfung mit dem Umweltbakterium und die damit einhergehende Immunregulation die behandelten Mäuse vor entzündlichen Prozessen. Dies gilt womöglich auch für psychische Erkrankungen mit entzündlicher Komponente.

Sollte sich dieser Zusammenhang in klinischen Studien bestätigen, wären zum Beispiel von Posttraumatischen Belastungsstörungen bedrohte Soldaten eine mögliche Zielgruppe für die Immunisierung mit Mycobacterium vaccae.

Nach früheren Studiendaten haben Menschen, die auf dem Land wohnen, im Vergleich zu Stadtbewohnern weniger Asthma und erkranken seltener an Depressionen. Ob dieser Zusammenhang auf die "old friends"-Hypothese" zurückzuführen ist, will Reber jetzt in einer Folgestudie untersuchen, für die er noch Probanden sucht.

Auch wollen die Wissenschaftler prüfen, ob eine orale Gabe der inaktivierten Umweltbakterien möglich ist und welchen Effekt eine Immunisierung hat, wenn bereits eine psychische Erkrankung besteht. (eb)

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