HINTERGRUND

Die Elektrokrampftherapie, ultima ratio bei schweren Depressionen, ist wissenschaftlich gut abgesichert

Von Andrea Maierhofer Veröffentlicht:

Seit den 60er Jahren wird die Elektrokrampftherapie (EKT) in zahlreichen Studien untersucht. Sie belegen deren Wirksamkeit nach den Kriterien der Evidence Based Medicine. Trotz der Erfolge der EKT bei schweren therapieresistenten Depressionen wird immer noch fast ausschließlich die medikamentöse Behandlung bevorzugt. Dabei ist die EKT bei eindeutiger Indikation arm an unerwünschten Wirkungen und gleichzeitig effektiv. "Die Ansprechrate liegt bei 30 bis 40 Prozent", so Dozent Andreas Conca vom Landesnervenkrankenhaus Valduna in Österreich.

Der künstlich ausgelöste Krampfanfall bewirkt eine rasche De- und Repolarisation der elektrisch leitenden Hirnzellen. Außerdem kommt es zu einer Ausschüttung sämtlicher Neurotransmitter.

Die Krampftherapie schädigt Strukturen im Gehirn nicht

Die EKT wird gegenwärtig bei schweren therapierefraktären Depression mit oder ohne Wahn, mit oder ohne Suizidalität angewandt. Ebenfalls Erfolg hat die Behandlung bei den psychomotorischen Störungen der Katatonie und therapieresistenter Schizophrenie. Sie wird aber nur verwendet, wenn andere Methoden versagt haben, etwa die wiederholte Behandlung mit Neuroleptika und Antidepressiva in Maximaldosierung plus adjuvante Verfahren wie Psycho- und Lichttherapie.

Die EKT hat keine strukturellen Hirnschädigungen zur Folge, wie prospektive CT-Untersuchungen belegen. Zu den Nebenwirkungen gehören vorübergehende kognitive Ausfälle. "Diese Störungen treten bei 30 Prozent der Patienten auf", erklärt Conca. Meist handelt es sich um reversible Gedächtnisverluste, die jedoch mit jeder Anwendung zunehmen können. Ein deutlicherer Gedächtnisverlust wird bei bipolarer Stimulation beschrieben, weshalb die Stimulation unilateral erfolgen sollte. Die Elektroden werden dabei unilateral auf der nichtdominanten Hemisphäre angelegt.

Unmittelbar nach der Schockbehandlung kann es zu kurzzeitigen reversiblen Aphasien, Apraxien und Agnosien kommen. Ein Drittel der Patienten klagt unmittelbar nach der Therapie über Spannungskopfschmerz, der jedoch mit Analgetika abklingt. Das Risiko der Mortalität bei Einzelanwendungen beträgt 1 : 30 000. Untersuchungen in den USA ergaben ein Mortalitätsrisiko bei älteren Patienten von 1 : 200. Die Todesfälle waren allesamt kardial bedingt und traten bei bereits herzkranken Patienten auf. Schwere kardiale Beeinträchtigung und Hypertonie sind daher Kontraindikationen.

In Europa wird heute die modifizierte EKT angewandt: unter Kurznarkose, Muskelrelaxation, Sauerstoffapplikation und Zahnschutz bei 0.9 Ampere und bis zu 480 Volt. Die Reizung verursacht einen generalisierten tonisch-klonischen Krampf, der mindestens 25 bis 30 Sekunden andauern muss, damit ein Erfolg eintritt. Der Krampf, der während der Behandlung mit EEG abgeleitet wird, vollzieht sich nur im Gehirn, nicht aber im Körper. Meist erfolgt eine Serie von acht bis zwölf Behandlungen im Abstand von je zwei bis drei Tagen. Dabei steht ein Team mit Psychiater, Anästhesist und Pflegern bereit.

Auch die Magnetstimulation bessert Depressionen

Eine Alternative zur EKT ist die Transkranielle Magnetstimulation (TMS): 1996 hat eine Arbeitsgruppe um Conca sie erstmals als Möglichkeit bei Depression beschrieben. Bei dieser nichtinvasiven Methode werden starke Magnetfelder erzeugt. Frequenz und Intensität werden auf den Patienten abgestimmt, umschriebene Hirnareale erregt oder gehemmt. Durch die veränderte Aktivität der Nervenzellen bessert sich die Depression, wie eine große internationale Studie belegt hat. Bei dieser schmerzfreien Methode ist der Patient wach. Die Verträglichkeit ist gut.

Elektroden im Hirn hemmen überaktive Nervenzellen

Eine weitere Möglichkeit ist die Tiefe Hirnstimulation (THS). Bisher wird sie erfolgreich etwa bei Morbus Parkinson angewandt. Zuerst wird ein stereotaktischer Rahmen angelegt und der Zielpunkt im Gehirn mit Magnetresonanztomografie ausgemessen. Dann werden über ein kleines Bohrloch Elektroden vorgeschoben. Der Patient erhält bei dieser schmerzlosen Operation lediglich eine Lokalanästhesie der Kopfhaut. Die Elektroden sind über Kabel mit einem Stimulator verbunden, der unterhalb des Schlüsselbeins eingesetzt wurde. Durch Abgabe von Impulsen hemmt er überaktive Nervenzellen.

Der Artikel ist ungekürzt bereits in der österreichischen Zeitschrift "Ärzte Woche" erschienen: 2007, Nr.16, Seite 4.



Kleine Chronologie

1938 wurde die Elektrokrampftherapie (EKT) von den italienischen Psychiatern Ugo Cerletti und Lucio Bini entwickelt. Sie hatten beobachtet, dass sich bei Depressiven mit Epilepsie die krankhafte Schwermut nach Krampfanfällen bessert. Da die EKT zunächst ohne Narkose gemacht wurde, kam es zu unerwünschten Wirkungen. Durch Filme über Patienten in der Psychiatrie entstand in der Öffentlichkeit ein negatives Bild der EKT.

In den 50er Jahren kamen die Psychopharmaka auf den Markt und lösten die EKT weitgehend ab. Bis in die 70er Jahre wurde sie nur noch sporadisch angewandt, heute greifen Ärzte wieder öfter darauf zurück. (Andrea Maierhofer)

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