Jetzt belegt

Schöne Gedanken vertreiben den Trübsinn

Werden positive Erinnerungen an den letzten Urlaub oder andere schöne Erlebnisse aktiviert, können sie Depressionen fast völlig auslöschen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Mit der Kraft positiver Erinnerungen können Depressionen erfolgreich behandelt werden - das wurde jetzt auch im Tierversuch belegt.

Mit der Kraft positiver Erinnerungen können Depressionen erfolgreich behandelt werden - das wurde jetzt auch im Tierversuch belegt.

© Photographee.eu / Fotolia

WIESBADEN. Die Geschichte von Frederick der Maus beschreibt in einfachen Wort die Kraft positiver Erinnerungen: In der Kindergeschichte des Grafikers und Schriftstellers Leo Lionni sitzt die Feldmaus Frederick den ganzen Sommer scheinbar untätig herum, während die andere Mäuse Vorräte für den Winter sammeln.

Auf die Frage, warum er nicht mithelfe, sagt er nur, er sammle doch auch, und zwar Sonnenstrahlen, die Lieder der Vögel, Wörter und Farben.

In der Psychotherapie bereits genutzt

Schließlich kommt der lange Winter, die Vorräte werden weniger und die Stimmung sinkt auf einen Tiefpunkt. Dann wird Frederick nach seinen Vorräten gefragt.

Er erzählt nun von den vielen Blumen, den Farben des Frühlings, singt die Lieder der Vögel, und den Mäusen wird warm ums Herz: Sie vergessen den Winter und merken gar nicht, wie schnell der Frühling kommt.

Lionni beschreibt mit seiner Geschichte einen simplen antidepressiven Mechanismus, der auch in der Psychotherapie genutzt werden kann: Wer es schafft, positive Erinnerungen zu reaktivieren, kann trübsinnigen Gedanken die Stirn bieten.

Im Tierversuch belegt

Auf der Fortbildungsveranstaltung Psychiatrie Update in Wiesbaden erinnerte Professor Volker Arolt vom Uniklinikum Münster anhand der Geschichte von Frederick, welch mächtiges Werkzeug Therapeuten hier zur Verfügung steht.

Inzwischen können Forscher anhand ausgeklügelter Tierexperimente sogar belegen, wie gut Gedächtnis-Engramme Depressionen bekämpfen und wie dieser Mechanismus funktioniert. Gelungen ist dies - wie könnte es anders sein - mithilfe von Mäusen.

Die moderne Variante von Frederick der Maus wird von japanischen Optogenetikern um den Nobelpreisträger Professor Susumu Tonegawa erzählt (Nature 2015; 522 (7556): 335-339).

Sie implantierten den Tieren einen Schalter gezielt in Neurone, die bei bestimmten positiven Erinnerungen aktiv werden. Der Schalter besteht aus einem Kanalrhodopsin, einem Ionenkanalprotein aus Blaualgen.

LED im Schädel

Bei bestimmten Wellenlängen öffnet sich der Ionenkanal und aktiviert das Neuron. Mit einer LED im Schädel können Forscher die damit bestückten Neurone in Echtzeit an- und ausschalten.

Das Rhodopsin wird über einen viralen Vektor ins Gehirn verfrachtet, ein spezielles System sorgt dafür, dass es nur zu bestimmten Zeitpunkten in die gerade aktiven Neurone eingebaut wird.

Nun suchten die Forscher einen positiven Reiz für die Mäuse. Sie entschieden sich für die Kopulation. Die ist zwar wenig kinderbuchgeeignet, gilt aber als eine der stärksten positiven Ereignisse im Mäuseleben.

Sexuell ausgehungerte Männchen durften sich einige Zeit bei weiblichen Artgenossen austoben, genau in dieser Zeit wurde der Einbau des Rhodopsin-Schalters aktiviert.

Er sollte sich also vorwiegend in den Neuronen finden, die bei sexueller Aktivität beteiligt sind. Zudem wurde der Einbau räumlich auf den Gyrus dentatus begrenzt - letztlich sollten diejenigen Nervenzellen markiert werden, die an der Engrammierung beteiligt sind.

Mehrfache Reaktivierung löscht die Depression

Im nächsten Schritt setzten die Forscher die Mäuse unter chronischen Stress, indem sie die Tiere täglich zwei bis drei Stunden fixierten.

Nach zehn Tagen zeigten sie ein deutliches depressions- und angstähnliches Verhalten. So wirkten sie im Vergleich zu ungestressten Tieren etwa recht apathisch, wenn man sie am Schwanz hochzog.

Schalteten die Forscher nun drei Minuten lang das Licht im Schädel ein, verschwanden die Depressionssymptome völlig.

Nach mehrfachem An- und Ausschalten blieb der antidepressive Effekt sogar dauerhaft bestehen. Die Mäuse waren dann ebenso glücklich wie diejenigen ohne traumatische Erlebnisse, sie zeigten sogar weniger Depressionssymptome als Tiere, die nach dem Immobilisationsstress zu den Weibchen durften.

Der tatsächliche Sex nach dem Trauma wirkte offenbar weniger antidepressiv wie der zuvor positiv engrammierte.

Umgekehrt konnten die Forscher bei Mäusen mit der LED im Kopf auch negative Emotionen aktivieren, und zwar dann, wenn der Rhodopsin-Einbau in den Stressphasen stattfand.

Die Wissenschaftler vermuten, dass es bei wiederholter Reaktivierung der Erinnerung zu neuroplastischen Veränderungen kommt, offenbar wird dabei die Neurogenese im Hippocampus angekurbelt.

Erfolge auch bei Demenz

Man müsse natürlich vorsichtig sein, die Resultate auf Menschen zu übertragen, so Arolt.

Doch würden ähnliche Effekte bei Psychotherapien beobachtet, die auf eine Aktivierung positiver Erinnerungen setzen, etwa bei Strategien zum "mood repair".

Solche werden nicht zuletzt auch bei demenzkranken Menschen verwendet: Hier können Musik und eine vertraute Umgebung positive Erinnerungen triggern und unruhige oder aggressive Menschen wieder etwas beruhigen.

Es könnte sich also lohnen, für dunkle Zeiten genug Sonnenstrahlen zu sammeln.

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