Studie

Epilepsie nur selten direkte Todesursache

Epileptiker haben eine geringere Lebenserwartung, sterben aber selten an den Anfällen. Was also sind die Ursachen für das frühere Ableben? Eine neue Studie bringt Licht ins Dunkel.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Nur die wenigsten Epilepsie-Patienten sterben unmittelbar an der Krankheit. Eine Studie hat jetzt herausgefunden: Häufiger sind die Begleitumstände der Epilepsie Todesursache.

Nur die wenigsten Epilepsie-Patienten sterben unmittelbar an der Krankheit. Eine Studie hat jetzt herausgefunden: Häufiger sind die Begleitumstände der Epilepsie Todesursache.

© piccerella / iStock.com

LONDON. Patienten mit Epilepsie haben eine geringere Lebenserwartung. Woran das liegt, ist nicht ganz klar. Offensichtlich sterben die wenigsten Patienten direkt an epileptischen Anfällen, SUDEP (sudden unexpected death in epilepsy) oder an Unfällen und Verletzungen, die von Anfällen ausgehen.

Mögliche andere Ursachen für die geringere Lebenserwartung sind ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen und Suizide, ein geringerer Lebensstandard durch schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt sowie Nebenwirkungen der Medikation.

Ließen sich die Hauptursachen für die erhöhte Mortalität besser identifizieren, könnten Ärzte gezielter gegen kritische Begleitumstände vorgehen.

Mehr Aufschluss über die Ursachen erhofften sich Neurologen um Dr. Mark Keezer vom University College in London durch eine Langzeitstudie mit 558 Epilepsiepatienten. Diese wurden zwischen 1984 und 1987 in die National General Practice Study of Epilepsy (NGPSE) aufgenommen (Neurology 2016; 86(8): 704-712). Inzwischen liegen Angaben zu mehr als 25 Jahren vor.

Daten über 25 Jahre ausgewertet

An der Studie beteiligen sich 275 britische Hausärzte mit regelmäßigen Untersuchungen. Sie liefern regelmäßig Angaben zu Begleiterkrankungen. Die Forscher um Keezer konnten sämtliche Daten bis zum Jahr 2009 auswerten. Zudem standen ihnen die Totenscheine der bis 2009 gestorbenen Patienten zur Verfügung. Sie versuchten, anhand der Bescheinigungen die unmittelbaren und die zugrunde liegenden Haupttodesursachen festzustellen.

Danach ist eine Pneumonie bei einem schwer Krebskranken die unmittelbare, der Krebs die Haupttodesursache. Herzversagen oder Atemstillstand wurden nicht als Todesursache, sondern lediglich als Sterbemodus gewertet. Fanden die Ärzte nur den Sterbemodus auf der Bescheinigung, nicht aber die Ursache, wurde diese als "sonstige" bezeichnet.

Bis zum Oktober 2009 waren 190 Patienten (34 Prozent) gestorben, für 189 lagen Sterbeurkunden vor. Nur diese wurden in der Analyse berücksichtigt. Wie auch bei Personen ohne Epilepsie üblich starben die meisten (knapp 60 Prozent) an Krebs und kardiovaskulären Erkrankungen, wobei nichtzerebrale Tumoren (22 Prozent) an vorderster Stelle standen, gefolgt von Herzkrankheiten (20 Prozent) und zerebrovaskulären Leiden (18 Prozent).

Bei zwölf Gestorbenen (6,3 Prozent) waren Metastasen von nichtzerebralen Tumoren die Ursache für die Epilepsie, etwa 7 Prozent starben an primären Hirntumoren.

Dagegen waren ein Status epilepticus oder ein SUDEP nur bei 3,2 Prozent der Hauptgrund für den Tod, ähnlich viele (4,2 Prozent) kamen durch externe Ursachen, etwa Unfälle ums Leben.

Todesursachen liegen meistens nicht bei der Epilepsie selbst

Bei den unmittelbaren Todesursachen überwog die Pneumonie (31 Prozent) gefolgt von Herzinfarkten und Schlaganfällen (zusammen rund 30 Prozent) sowie nicht weiter spezifizierten krebsbedingten Komplikationen (etwa 22 Prozent).

Wie sich zeigte, war die Sterberate vor allem in den zwei Jahren nach dem ersten Anfall erhöht. Dies lässt sich zum Teil damit begründen, dass eine tödliche Krebserkrankung (primärer Hirntumor, Hirnmetastasen) die epileptischen Anfälle auslöste. Primäre Hirntumoren waren bei den unter 60-Jährigen deutlich häufiger eine Todesursache als bei älteren Epilepsiekranken (15 versus 1 Prozent). Externe Ursachen waren, wie zu erwarten, bei den jüngeren Gestorbenen ebenfalls von größerer Bedeutung (12,8 versus 1,4 Prozent).

Insgesamt starben Patienten mit einer Krebsdiagnose dreifach häufiger im Beobachtungszeitraum als solche ohne Tumoren. Metabolische und endokrine Störungen erhöhten die Sterberate in ähnlichem Maße, ebenso Geburtskomplikationen und kongenitale Malformationen.

Auch Alkohol- und Drogenkonsum waren wichtige Gründe für den vorzeitigen Tod. Als protektiv erwiesen sich männliches Geschlecht und eine frühe Epilepsie-Remission.

Vielfältige Sterbeursachen – Zusammenhang mit Epilepsie noch unklar

Nach diesen Daten lässt sich ein Teil der Übersterblichkeit bei Epilepsiepatienten durch eine zugrunde liegende Krebserkrankung erklären - bei immerhin einem Drittel der Krebspatienten war der Tumor ursächlich für die Anfälle.

Für Patienten ohne Tumor als Epilepsieursache ergibt sich jedoch kein klares Bild: Offenbar scheinen Substanzmissbrauch, Geburtskomplikationen sowie Malformationen, psychische Störungen und kognitive Defizite von Bedeutung zu sein, wobei auch diese Analyse deren Zusammenhang mit der Epilepsie nicht klar herausarbeiten konnte.

Aussagekräftiger scheinen skandinavische Registerdaten zu sein. In einer 2013 veröffentlichten Studie zu 70.000 schwedischen Epilepsiepatienten zeigte sich ein deutlich erhöhtes Risiko für Unfälle, Suizide, Depressionen und Substanzmissbrauch bei Epilepsiekranken (Lancet, 2013; 382 (9905): 1646-1654).

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren