Hintergrund

Neuer Schrittmacher lindert zugleich Tremor, Rigor und Akinese bei Parkinson-Patienten

Bislang wird bei der tiefen Hirnstimulation (THS) nur ein Zielgebiet elektrisch gereizt. Damit lassen sich jedoch nicht alle Kardinalsymptome bei Parkinson lindern. Ein neuer Stimulator soll dies ändern.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Ein Team um den Neurochirurgen Professor Volker Sturm und den Neurologen Professor Lars Timmermann von der Universität Köln hat jetzt erstmals einen Hirnschrittmacher implantiert, der zu einer neuen Generation von Geräten gehört: Es werden zwei Elektroden eingepflanzt, die sich unabhängig voneinander auf die optimale Impulsstärke und -frequenz einstellen lassen . "Wir hoffen, auf diese Weise effektiver als bisher die Hauptsymptome Rigor, Tremor und Hypokinesen zu verringern", sagte Timmermann der "Ärzte Zeitung".

Der Akku lässt sich von außen wieder aufladen

Ein Vorteil des neuen Impulsgebers: Er ist nicht mehr batteriebetrieben, sondern hat einen von außen wieder aufladbaren Akku und soll etwa neun Jahre lang halten. "Die Batterien der bisherigen Geräte halten, je nach Stromverbrauch, drei bis fünf Jahre", sagt Timmermann. "Dann muss der Impulsgeber ausgetauscht werden, was bei jedem fünften Patienten mit Komplikationen verbunden ist, etwa Stürzen oder Pneumonien infolge von Immobilität. Die Zeitspanne bis zum Austausch hoffen wir jetzt deutlich verlängern zu können."

Der 49-jährige Patient wird operiert. Ärzte erwarten, dass der neue Schrittmacher (unten) alle drei Kardinalsymptome bei Parkinson reduziert.

Der 49-jährige Patient wird operiert. Ärzte erwarten, dass der neue Schrittmacher (unten) alle drei Kardinalsymptome bei Parkinson reduziert.

© Foto: MedizinFotoKöln

Der erste Patient, dem die Neurochirurgen das neue Gerät des Unternehmens Medtronic implantiert haben, ist 49 Jahre alt. Durch Nachlassen der Medikamentenwirkung hatte er einen ausgeprägten Tremor, Muskelsteifigkeit und eine Hypokinese mit Gangstörungen, was seine Alltagsfähigkeiten erheblich einschränkte. Der Patient konnte sich weder allein ankleiden, noch ohne Hilfe essen. Eine Hyperkinese bestand nicht.

Zielgebiet der Stimulation war der Nucleus subthalamicus und der ventrolaterale Thalamus. Während des dreieinhalbstündigen Eingriffs erfolgte die Feinjustierung der Elektroden durch Funktionsprüfungen beim Patienten: Die Implantation eines Kontaktes im N. subthalamicus hatte gute Effekte auf Rigor und Hypokinese. Einen zweiten Kontakt platzierten die Ärzte im ventrolateralen Thalamus (im Nucleus ventro-oralis posterior, Vop) etwa 6,5 Millimeter vom ersten Kontakt entfernt. Die Stimulation über diesen zweiten Kontakt milderte deutlich die Tremorsymptome, berichtete Timmermann.

Der Impulsgeber wurde unter der Clavicula in die Haut implantiert, die Elektrodenkabel sind dehnbar, sodass sie der Patient bei der Bewegung oder im Liegen nicht spüren soll.

Das weitere Vorgehen ist Standard: Nach einem Rückgang des Ödems, im Allgemeinen zwei bis drei Tage nach der Operation, wird langsam mit der Einstellung begonnen, die Feineinstellung soll in etwa drei Monaten abgeschlossen sein. Ob sich der Zustand längerfristig so verbessert, wie es sich Ärzte und Patient wünschen, lässt sich noch nicht beurteilen. Die Ärzte hoffen aber, dass sie mit einem Gerät, das zwei Zielregionen unabhängig voneinander stimuliert, auch solchen Patienten helfen können, deren Symptome mit einer einfachen Elektrode nicht ausreichend gelindert werden können.

Gerät reizt zwei Regionen unabhängig voneinander

So lässt sich durch eine Stimulation des ventrolateralen Thalamus bei bis zu 85 Prozent der Patienten eine sehr deutliche Reduktion des Tremors erreichen. Zudem kann die Muskelsteifigkeit leicht gelöst werden. Andere Parkinsonsymptome wie Akinese, Haltungsstörung oder Gangveränderungen bleiben jedoch weitgehend unbeeinflusst.

Eine Stimulation im Pallidum oder im N. subthalamicus führt dagegen bei bis zu 80 Prozent der Patienten zu einer deutlichen Minderung der Muskelsteifigkeit und Akinese, der Tremor geht dabei aber meist nur wenig zurück.

Neuer Schrittmacher lindert zugleich Tremor, Rigor und Akinese bei Parkinson-Patienten

© Foto: MedizinFotoKöln

Inzwischen arbeiten Forscher schon an einer weiteren Generation von Hirnschrittmachern: Mit ihnen sollen pathologische Nervensignale nicht nur wie bei konventioneller THS gestört, sondern korrigiert werden. Die Nervenzellen werden dazu gebracht, wieder normal zu arbeiten - ähnlich wie durch den Neustart ein Computer, der hängen geblieben ist. Erste klinische Tests sind vielversprechend: Wurde das Gerät nach drei Tagen Stimulation ausgeschaltet, hielt der Effekt zum Teil mehrere Tage an. Bis zur klinischen Reife wird es noch Jahre dauern, schätzen die Chirurgen um Volker Sturm.

Offen ist auch die Frage, ab wann Patienten einen Stimulator benötigen. "Bislang wurde vergleichsweise lange gewartet", sagte Timmermann. "Es ist aber gut möglich, dass die THS schon dann eine sinnvolle Therapie darstellt, wenn ein erstes, deutliches Nachlassen der Medikamentenwirkung auftritt." In einer multizentrischen Studie werden jetzt die Effekte einer früheren Stimulation bei etwa 350 Teilnehmern geprüft.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Große Zukunft für Neurostimulation

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