Neue Erklärung für MS-Entstehung

Deutsche Forscher haben erstmals einen weit verbreiteten Autoantikörper bei MS-Patienten entdeckt. Er eignet sich nicht nur zur Diagnostik, sondern kann auch die Erkrankung bei einem Teil der Patienten besser erklären.

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MÜNCHEN (mut). Lange Zeit galt die Neuromyelitis optica als eine Form der Multiplen Sklerose. Seit man 2004 bei den Betroffenen sehr spezifische Autoantikörper gegen das Protein Aquaporin 4 entdeckte, wird sie eher als eigenständige Erkrankung angesehen.

Ähnliches könnte nun auch bei einem weiteren Teil der MS-Patienten passieren: Münchner Forscher haben erstmals einen Autoantikörper entdeckt, der für einen großen Teil der MS-Patienten charakteristisch ist (N Engl J Med 2012; 367:115-123).

Bei 47 Prozent fanden sie gegen den Kaliumkanal KIR4.1 gerichtete IgG-Moleküle. Möglicherweise haben diese Patienten ebenfalls eine gut abgrenzbare Form der MS.

Für seine Arbeit hat das Team um Professor Bernhard Hemmer vom Klinikum rechts der Isar in München zunächst IgG aus dem Serum von zwölf MS-Patienten isoliert und in einem speziellen Assay mit ZNS-Membran-Proteinen reagieren lassen. Die Antigen-Antikörper-Komplexe wurden anschließend genauer analysiert.

Die Forscher entdeckten dabei den Kaliumkanal KIR4.1 als ein Ziel der Antikörper. Dann schauten sie mit einem anderen Test, wie häufig Autoantikörper gegen den Kaliumkanal bei MS-Kranken vorkamen.

Antikörper-Test zur Diagnose

Insgesamt fanden sie bei 186 von 397 MS-Patienten eine Immunantwort gegen das Protein. Dagegen gab es bei keiner von 56 gesunden Kontrollpersonen eine solche Reaktion und nur bei drei von 329 Personen mit anderen neurologischen Krankheiten.

Die Forscher gehen folglich davon aus, dass die Autoantikörper sehr spezifisch bei einem großen Teil der MS-Kranken gebildet werden.

Die Entdeckung stellt auch die Hypothese infrage, dass bei MS überwiegend autoreaktive T-Zellen von Bedeutung sind. Bei einem Teil der Patienten könnte die B-Zell-Antwort von ähnlicher oder größerer Bedeutung sein.

Dafür spricht auch, dass eine B-Zell-Depletion (etwa mit Rituximab) oft zu einer drastischen Schubreduktion führt.

Gebildet wird KIR4.1 im Gehirn in Oligodendrozyten und Astrozyten, die Synapsen und Blutgefäße umgeben. In gentechnisch veränderten Mäusen ohne KIR4.1 waren Myelinbildung und Entwicklung von Oligodendrozyten beeinträchtigt.

Menschen mit Mutationen in dem Gen für den Kaliumkanal zeigen Epilepsien, Ataxien, sensorische Störungen sowie Tubulopathien, da das Gen auch in den Nieren exprimiert wird.

Ein Test auf KIR4.1-Antikörper könnte künftig auch helfen, die MS-Diagnose bei einem Teil der Patienten zu sichern, so das Team um Hemmer.

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