Schizophrenie

Depot-Neuroleptika schon nach der ersten Episode geben

Erhalten Patienten nach einer ersten Schizophrenie-Episode ein Depot-Neuroleptikum statt Tabletten, lässt sich die Rezidivrate drastisch senken. Dies liegt zum großen Teil an der besseren Adhärenz.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

LOS ANGELES. Obwohl der Nutzen von Depot-Neuroleptika in Studien gut belegt ist, kommen die lang wirksamen Medikamente noch immer selten zum Einsatz. Das könnte zum einen an der klinischen Routine liegen, die Spritzen zur Basismedikation kaum vorsieht, zum anderen an Vorstellungen, wonach Depot-Neuroleptika für besonders schlecht adhärente oder aggressive Patienten reserviert werden sollten, schreibt der Psychiater William Carpenter von der Universität in Baltimore in einem Editorial zu zwei aktuellen Publikationen. Diese Denkweise sei jedoch falsch.

Zum einen überschätzten Ärzte die Compliance ihrer Schizophreniepatienten, zum anderen sei gerade bei Patienten nach einer ersten psychotischen Episode eine Rezidivprophylaxe extrem wichtig. In dieser kritischen Phase könnten langwirksame injizierbare Antipsychotika einen wertvollen Beitrag leisten (JAMA Psychiatry 2015; 72(8): 745-746).

Rezidiv nur bei fünf Prozent

Carpenter sieht seine Annahme durch eine Studie bestätigt, in der 86 Patienten nach einer ersten größeren psychotischen Episode entweder mit Risperidon in Tablettenform (im Schnitt 2 mg/d) oder per Injektion alle zwei Wochen (25 mg) behandelt wurden (JAMA Psychiatry 2015; 72(8): 822-829). Die Patienten waren im Schnitt 21 Jahre alt, die Psychose begann im Mittel sieben bis acht Monate zuvor.

Bei etwas mehr als der Hälfte hatten die Psychiater eine Schizophrenie diagnostiziert, den übrigen attestierten sie eine schizoaffektive oder schizophreniforme Störung. Das Team um Dr. Kenneth Subotnik von der Universität in Los Angeles stellte alle Patienten zunächst drei Wochen lang auf orales Risperidon um, die Hälfte erhielt dann weiterhin die Tabletten, die anderen bekamen die Injektionen.

Das überraschende Ergebnis: Innerhalb eines Jahres traten bei 16 Patienten (19 Prozent) Rezidive auf. Davon waren nur zwei (5 Prozent) in der Gruppe mit dem Depot-Neuroleptikum, aber 14 (33 Prozent) in der Gruppe mit Tabletten betroffen. Die Rückfallrate war mit dem Depot-Neuroleptikum um 85 Prozent geringer als mit den Tabletten, berechneten die Forscher.

Nur ein Patient mit Depotformulierung brach ab

Auffällig war, dass die meisten Rezidive in den ersten sechs Monaten auftraten. Das war bei 12 von 14 Rückfällen unter oraler Medikation der Fall, aber nur bei einem Rezidiv unter der Injektionsbehandlung. Das zweite Rezidiv trat in dieser Gruppe nach acht Monaten auf.

Tendenziell wurde das Depot-Neuroleptikum besser als die orale Therapie vertragen - Therapieabbrüche wegen Nebenwirkungen stellten die Ärzte nur halb so oft fest (10 versus 21 Prozent), der Unterschied war aber nicht signifikant. Nur ein Patient mit der Depotformulierung brach die Therapie wegen mangelnder Wirksamkeit ab, sieben waren es in der Gruppe mit oraler Therapie.

Ein großer Teil der Unterschiede zwischen den beiden Gruppen ließen sich dadurch erklären, dass viele der Patienten mit oraler Therapie ihre Tabletten nur unregelmäßig einnahmen. So wurde anhand von Bluttests, Pillenzählen oder anderen Monitoringsystemen die Adhärenz auf einer Skala von 1 bis 5 (perfekt bis komplett fehlend) bewertet.

Mit den Depot-Neuroleptika erreichten alle bis auf einen Patienten Werte unter 1,5 Punkten, mit der oralen Therapie schaffte das hingegen nur ein Drittel der Betroffenen. Wie erwartet, hing die Rezidivrate sehr stark von der Compliance der Patienten ab.

Auch wenn die Patientenzahl in der Studie recht klein war - die Psychiater um Subotnik schließen daraus, dass Depot-Neuroleptika eine "exzellente Wahl" nach einer ersten psychotischen Episode darstellen. Sie gehen davon aus, dass gerade Patienten mit einer ersten Episode noch nicht verstehen, wie wichtig eine kontinuierliche antipsychotische Therapie ist und daher ihre Tabletten nach einiger Zeit nicht mehr einnehmen.

Nur noch vier Injektionen pro Jahr

In der Studie von Subotnik mussten die Patienten noch immer jede zweite Woche für eine Injektion das Studienzentrum aufsuchen. Noch besser für die Compliance wären möglicherweise längere Injektionsintervalle. In einer Studie von Forschern um Dr. Jorris Berwaerts von Janssen Research & Development in Titusville wurde eine neue Formulierung von Paliperidon geprüft, die nur noch alle drei Monate verabreicht werden muss ( JAMA Psychiatry 2015; 72(8): 830-839).

Teilgenommen hatten über 300 Patienten, das Durchschnittsalter lag bei 38 Jahren, und im Schnitt waren die Patienten seit zehn Jahren an einer Schizophrenie erkrankt. Ein Rezidiv erlitten mit der Dreimonats-Formulierung innerhalb eines Jahrs 9 Prozent der Patienten, 29 Prozent unter Placebo.

Der Positiv- und Negativ-Symptomscore (PANSS) nahm unter Placebo deutlich zu (6,7 Punkte), blieb aber unter dem Depot-Neuroleptikum konstant (-0,5 Punkte). Auch wenn hier nicht gegen eine aktive Medikation geprüft wurde, so scheint ein Depot-Neuroleptikum auch langjährig Erkrankte mit nur wenigen Injektionen im Jahr zuverlässig zu stabilisieren.

Nach Ansicht des Psychiaters Carpenter wird noch viel Forschung nötig sein, um die optimale Dosis- und Injektionsfrequenz zu ermitteln. Bisher setzten viele Depotformulierungen auf ähnliche oder höhere Dosierungen als bei einer entsprechenden oralen Therapie. Es gebe jedoch Hinweise, dass bei einer guten Compliance, wie sie bei Depot-Neuroleptika üblich ist, deutlich niedrigere Wirkstoffmengen ausreichten.

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