Schlafstörungen

Kein Konsens zur Langzeittherapie mit Hypnotika

Wie lange sollten Ärzte Hypnotika verordnen? Offenbar gibt es dazu so viele Meinungen wie Experten, aber kaum belastbare Daten.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Wie lange sollten Schlafmittel eingenommen werden, ohne dass sie eine Gesundheitsgefahr darstellen?

Wie lange sollten Schlafmittel eingenommen werden, ohne dass sie eine Gesundheitsgefahr darstellen?

© Dan Race / fotolia.com

KÖLN. Schaut man sich Krankenkassendaten an, dann müssten die Hypnotika-Verordnungen in den vergangenen Jahren in Deutschland deutlich zurückgegangen sein.

Vor allem Benzodiazepine werden nur noch selten zulasten der Kassen verordnet, und bei den Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten (Z-Substanzen) sind die Verordnungszahlen seit etwa zehn Jahren konstant.

GKV-Daten bilden nicht die Realität ab

Darauf hat der Neurologe Dr. Lukas Frase von der Uniklinik Freiburg hingewiesen. Halten sich Ärzte also an die Leitlinien und verordnen Hypnotika nur noch selten und kurzfristig?

Mitnichten. Die GKV-Daten bilden nicht ansatzweise die Realität ab, sagte Frase auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) in Köln.

Ganz anders sieht das Bild aus, wenn auch Privatrezepte berücksichtigt werden. Dann ist ein deutlicher Anstieg der Verschreibungszahlen bei den Z-Substanzen zu beobachten, während zugleich der Anteil der Benzodiazepine zurückgeht.

"Die Z-Substanzen haben die Benzodiazepine abgelöst", so Frase, "und sie werden inzwischen zum großen Teil auf Privatrezept verordnet".

Nach einer Analyse des Gesundheitsökonomen Professor Gerd Glaeske läuft inzwischen jede zweite Packung über das Grüne Rezept.

Immer mehr Privatrezepte

Die Deutschen schlucken also nicht etwa weniger Schlafpillen, sondern andere, und sie müssen sie zum großen Teil selbst bezahlen.

Welche Langzeitwirkungen das veränderte Verordnungsmuster auf Insomniepatienten hat, ist allerdings noch unklar.

Interessant ist vor allem die Frage, ob eine Abhängigkeit unter den Benzodiazepin-Agonisten seltener auftritt als unter klassischen Benzodiazepinen, und was letztlich für oder gegen eine Langzeittherapie mit solchen Mitteln spricht.

Zu beiden Punkten, so wurde auf der Tagung deutlich, gibt es zwar viele unterschiedliche Meinungen, aber nur wenige valide Daten.

Die meisten Schlafmediziner halten Benzodiazepine und Z-Substanzen neben der nicht immer möglichen und verfügbaren kognitiven Verhaltenstherapie für das Mittel der Wahl zur kurzfristigen Therapie bei Insomnien.

Sedierende Antidepressiva und Antipsychotika sollten nach Frases Auffassung nur bei Patienten verwendet werden, bei denen zusätzlich zur Insomnie auch eine Depression oder Psychose besteht.

Für die Langzeitapplikation von Hypnotika gebe es jedoch keine ausreichenden Therapieempfehlungen, viele Ärzte würden die Medikamente aber trotzdem und auch mit Erfolg mittel- und langfristig verschreiben.

Langzeitstudien mit Mängeln

Für Professor Dieter Riemann von der Uniklinik in Freiburg ist dies wenig überraschend, da eine Insomnie bei etwa zwei Drittel der Patienten chronisch verläuft - sie brauchen also dauerhaft eine Behandlung.

Ärzte stehen nun vor dem Dilemma, dass Hypnotika, wie etwa in der S3-Leitlinie zu erholsamem Schlaf, nur für die Dauer von drei bis vier Wochen empfohlen werden. Was dann mit den Patienten zu tun ist - dafür gibt es bisher keine klaren Anweisungen.

Einen etwas größeren Spielraum scheinen die Briten zu sehen: In einem Konsensus-Statement von 2010 nehmen Experten der britischen Pharmakologengesellschaft immerhin zur Kenntnis, dass Hypnotika in der Praxis oft langfristig verordnet werden und "auch bei einer Therapie von bis zu einem Jahr nicht unvermeidbar mit einer Abhängigkeit einhergehen".

Am weitesten gehen die beiden US-Experten Jim Walsh und Thomas Roth in den "Principles and Practice of Sleep Medicine", der "Bibel" der US-Schlafmediziner.

Umfassende Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten rechtfertigen ihrer Ansicht nach eine Therapie mit Z-Substanzen "so lange, wie es klinisch erforderlich ist" - mitunter also auch lebenslänglich. Doch wie sieht es nun aus mit solchen Daten?

Riemann warf auf der DGSM-Tagung ein kritisches Licht auf die wenigen Langzeitstudien.

Er fand vier Studien zu Zolpidem und vier zu Zopiclon/Eszopiclon mit einer Therapiedauer von bis zu einem Jahr.

In diesen Untersuchungen wurden zwar auch bei einer Langzeittherapie keine Abhängigkeit oder Toleranzentwicklung beobachtet, "das ist aber nicht erstaunlich, weil die Patienten die Dosis in den Studien nicht steigern konnten", bemerkte der Diplom-Psychologe.

Abbruchraten von bis zu 38 Prozent

Auffallend waren hingegen Abbruchraten von bis zu 38 Prozent. Vielleicht, so vermutet der Experte, sind viele Teilnehmer ausgestiegen, weil sie eine Toleranz entwickelten und mit der festgelegten Studiendosis nicht mehr klarkamen.

In den Studien war es also schon vom Design her kaum möglich, eine Toleranz oder gar Abhängigkeit aufzuspüren.

Nichtsdestotrotz - den Erfahrungen mit den eigenen Patienten zufolge hält Riemann das Abhängigkeitsrisiko für relativ gering.

Dass jemand ständig seine Gedanken um die Beschaffung von Schlafmitteln kreisen lässt, erlebe er in der Regel nicht.

Anders sehe es jedoch bei Patienten mit bekanntem Suchtverhalten aus: Hier könne man schon auf Personen stoßen, die 200 mg Zolpidem in der Nacht benötigten. Suchtpatienten waren in den genannten Langzeitstudien ausgeschlossen worden.

Für Riemann ist es vor allem wichtig, Hochdosispatienten möglichst früh zu erkennen - bei ihnen stehe eher eine Suchterkrankung und weniger die Insomnie im Vordergrund.

"90 Prozent der Insomnie-Patienten sind hingegen nicht süchtig", schätzt er.

Glaubt man den Daten der Langzeitstudien, dann sind auch Rebounds kein Thema bei den Z-Substanzen.

Hier mahnt der Schlafexperte ebenfalls zur Vorsicht. In der Regel basierten solche Aussagen auf Mittelwertanalysen, in seltenen Fällen könnten durchaus massive Rebounds nach dem Absetzen auftreten.

Letztlich so Riemann, komme man allein mit realitätsfremden placebokontrollierten Studien nicht weiter.

Er forderte Kohortenstudien und Post-Marketing-Analysen zur Hypnotikatherapie unter Alltagsbedingungen.

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