Drogen

Können zwei Pillen Ecstasy das Gedächtnis löschen?

Der Konsum von MDMA kann offenbar auch langfristig zu Gedächtnisproblemen führen: Ein junger Mann präsentierte sich auch noch fünf Monate nach dem Ecstasy-Rausch mit einer schwerwiegenden antero- und retrograden Amnesie.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Wer Ecstasy konsumiert, muss offenbar mit Langzeitschäden des Gehirns rechnen.

Wer Ecstasy konsumiert, muss offenbar mit Langzeitschäden des Gehirns rechnen.

© Anbna Kowolik / fotolia.com

LÜBECK. Nach einem Ecstasy-Rausch konnte sich ein 21-jähriger Mann für zwei Tage nichts Neues mehr merken. Auch Monate später litt er noch unter einer schweren Amnesie. Offenbar hatte die Droge den Hippocampus beschädigt.

Eine kurzfristige Amnesie zählt dabei zu den bekannten Nebenwirkungen eines Ecstasy-Rausches: Im Web kursiert etwa ein Bericht, wonach ein Betroffener innerhalb einer halben Stunde 50-mal versuchte, seine Hose anzuziehen: Er stand auf, vergaß dann wieder, weshalb, setzte sich, bemerkte, dass er keine Hose anhatte, stand wieder auf, vergaß erneut, setzte sich und so weiter.

Er hätte wohl, in seiner persönlichen Zeitschleife gefangen, diese Prozedur noch viel länger wiederholt, hätten ihm seine Freunde nicht irgendwann beim Anziehen geholfen.

In der Regel verschwinden solche Gedächtnisprobleme nach einiger Zeit wieder, nicht so bei einem 21-jährigen Mann, über den Lübecker Neurologen um Dr. Norbert Brüggemann berichten (J Neurol 2016; online 16. März).

Dieser hatte nach zwei Pillen Ecstasy zwei Tage lang sein anterogrades Gedächtnis verloren: Er stellte immer wieder dieselben Fragen und war nicht im Geringsten in der Lage, neue Informationen abzuspeichern. Dabei war der Mann relativ drogenerfahren: Nach eigenen Angaben konsumierte er ein- bis zweimal im Monat eine Ecstasy-Pille und rauchte ebenso häufig einen Joint.

Gedächtnis noch Monate gestört

Drei Wochen nach dem verhängnisvollen Drogenrausch veranlassten die Ärzte um Brüggemann eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung. Dabei zeigten sich noch immer gravierende Defizite beim Lernen von Wortlisten sowie beim semantischen, nicht aber beim prozeduralen Gedächtnis.

Daran hatte sich auch bei einer wiederholten Untersuchung fünf Monate später wenig geändert: Der Ecstasy-Konsument präsentierte sich mit einer schwerwiegenden antero- und retrograden Amnesie, beim Lernen von Wortlisten hatte er sich nur minimal verbessert.

Er versuchte, mit Schlüsselwörtern und Eselsbrücken Zugang zum verschütteten Gedächtnis zu erlangen. Immerhin konnte er seine Ausbildung in einem Logistikunternehmen trotz der Einschränkungen weiterführen. Den Ärzten fiel nun auch eine Gewichtszunahme um 15 kg auf.

MRT-Untersuchungen

In den MRT-Untersuchungen drei Wochen nach Beginn der Amnesie fanden die Lübecker Neurologen bei T2-Gewichtung und Diffusionsbildgebung hyperintense Signale im Hippocampus.

Eine virale Infektion konnte durch eine Liquoranalyse weitgehend ausgeschlossen werden, auch fanden die Ärzte dort keine Zeichen einer Multiplen Sklerose. Blutbild, Leber- und Nierenwerte waren ebenfalls unauffällig.

Aus der Literatur sei bislang ein weiterer ähnlicher Fall mit monatelanger antero- und retrograder Amnesie nach Ecstasy-Konsum bekannt, schreiben Brüggemann und Mitarbeiter. Die Symptome erinnerten an einen Epilepsiepatienten, der nach einer bilateralen medialen Temporallappenresektion eine Amnesie entwickelte.

Pathomechanismen unklar

Wie es zu der angenommenen Hippocampusschädigung bei dem 21-jährigen Patienten mit Ecstasy-Konsum kam, ist jedoch noch unklar. Denk- bar sei sowohl eine direkte Toxizität des Amphetamin-Derivats MDMA (3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin) als auch eine indirekte Schädigung über ein serotonerges und dopaminerges Transmittergewitter.

Eine schwere Dehydratation und Überhitzung, wie sie von MDMA begünstigt wird, könnte ebenfalls ein Grund sein.

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