Smartphone-Sucht

Medienkompetenz durch Abstinenz!

Das Smartphone ist aus der Hand Jugendlicher nicht mehr wegzudenken. Von einem sinnvollen Umgang damit sind die meisten weit entfernt. Dazu tragen elterliche Negativ-Vorbilder und die Bildungspolitik bei.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Medienkompetenz durch Abstinenz!

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Hi!" "Hi." "Selber Hi." "Was haben wir heute auf?" "Nix." "Lol." So ein Klassenchat auf dem Smartphone ist in puncto Informationsgewinn nicht gerade der Brüller. Dennoch verbringen viele Halbwüchsige einen Großteil ihrer Freizeit damit, immer wieder per Knopfdruck das Display ihres stromlinienförmigen Begleiters aufleuchten zu lassen, in der Hoffnung, dieser möge eine neue Nachricht aus dem virtuell aktiven Freundeskreis für sie in petto haben.

Der Jugendliche und sein Smartphone sind ein bestens eingespieltes Team. Im Schnitt wird das Handy 120- bis 150-mal am Tag aktiviert, berichtete der Kinder- und Jugendpsychiater Professor Christoph Möller aus Hannover beim Kongress für Suchtmedizin in München. Das bedeute, so Möller, dass alle Aktivitäten in der realen Welt, ob frühstücken, Hausaufgaben machen oder in der Stadtherumlaufen, im Schnitt alle neun bis zwölf Minuten unterbrochen werden. Auf jedes Fiepsen, Brummen oder Klingeln wird unmittelbar reagiert; dabei erzeugt jede neue mit flinken Fingern getippte Message eine Flut von geistreichen Rückmeldungen ("Hi"), die wieder beantwortet werden müssen.

Die Entwicklung des Gehirns, seine Leistungsfähigkeit hängt davon ab, wie wir es nutzen, sagen Neurobiologen. Nun ist es aber so, dass uns der Computer seiner Bestimmung nach geistige Tätigkeit abnimmt. Als Erwachsene bedauern wir manchmal noch den Verlust von geistigen Kapazitäten seit der digitalen Revolution: Konnten wir uns früher nicht mindestens zwanzig Telefonnummern merken? Sind wir nicht ganz ohne Navi, nur mit Karten ausgestattet, in den Urlaub gefahren?

Schon im Babyalter vor dem PC

Die Generation Smartphone saß schon im Babyalter vor dem Computer und guckte sich von den Teletubbies ab, wie man vor sich hin lallt. Als Schulkinder lernten sie dann, dass man zum Aufbau digitaler Welten in "Minecraft" nur vier Finger braucht und dass man bei "Gran Turismo" einfach weiterrasen kann, obwohl man gerade mit Karacho in die Absperrung gekracht ist. Dass Erwachsenwerden nicht automatisch klüger macht, zeigte kürzlich eine Begegnung am Wendelstein: Da steckte ein Grüppchen Twens auf Schritt und Tritt die Nase ins Handy und wäre fast gegen die entgegenkommende Kuh gestoßen, weil gerade ein Pokémon abgeschossen werden musste.

Bis zu acht Prozent der jugendlichen Smartphone-Nutzer entwickeln Studien zufolge einen problematischen Konsum, der einem Suchtverhalten entspricht. Es sind vor allem die einsamen, vernachlässigten, frustrierten Kids, die im virtuellen Raum, bei "League of Legends" oder "Warcraft" plötzlich Erfolge feiern, sogar Freunde finden.Und auch wenn belegt ist, dass Killerspiele nicht die Ursache für reale Gewaltexzesse sind: Auch der jugendliche Amokläufer von München, David S., hat viel Zeit mit "Counter-Strike" verbracht. Wirklich förderlich für seine Entwicklung war das zumindest nicht.

"Medienkompetenz" ist das erklärte Ziel an deutschen Bildungsstätten. Doch genau die erreicht man mit dem politisch gewollten frühen Einsatz von Computern in Kindergärten und Grundschulen nicht. Je früher in der kindlichen Entwicklung digitale Medien ins Spiel kommen, desto schlechter ist dies für letztere, findet Möller, der die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Zentrum "Auf der Bult" leitet. Wichtige Grundfähigkeiten wie kommunizieren, sich für Zusammenhänge in der Welt interessieren, diese kritisch zu hinterfragen – all das werde in der realen Interaktion gelernt und nicht am Bildschirm. Wer das als Erwachsener nicht drauf hat, wird nicht in der Lage sein, den Computer und das Internet zielführend zu nutzen. Möllers Credo daher: "Medienkompetenz durch Medienabstinenz!"

So anstrengend es ist und so abgedroschen es klingt: Eltern und Lehrer müssen sich ihrer Vorbildfunktion beim Konsum digitaler Medien bewusst sein. Das heißt: Am Wochenende nicht schon beim Frühstück Nachrichten auf WhatsApp checken, lieber mit dem Sohn rausgehen und Fußball spielen. Es ist wichtig, dass Kinder frühzeitig lernen, wie viel Spaß es macht, sich in der Natur zu bewegen, um wie viel besser das ist, als stundenlang im abgedunkelten Zimmer vor der Konsole zu hocken.

Auch Lehrer sind gefragt

Lehrer sollten sich überlegen, ob es sinnvoll ist, die Zeit vorm Bildschirm durch Lernprogramme im Internet, die die Kinder zu Hause absolvieren, noch zu verlängern. Zumindest sollte es für Pädagogen zu schaffen sein, im Unterricht den ständigen Blick aufs Smartphone zu vermeiden.

Vor Kurzem feierte das Smartphone seinen 20. Geburtstag. Das ist nicht nur ein Grund zum Jubeln: Die Kommunikationsgesellschaft mag von den Neuentwicklungen profitiert haben, aber die damit verbundenen Risiken gerade für Kinder und Jugendliche werden unterschätzt. Pioniere der digitalen Revolution wie der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs und der 3D-Robotics-CEO Chris Anderson haben offenbar um die Abgründe der digitalen Welt gewusst: Sie schickten ihre Kinder im Silicon Valley auf eine computerfreie Waldorf-Schule.

elke.oberhofer@springer.com

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