Suff statt Ehe

Alkohol als neuer Partner nach der Scheidung

Nach einer Scheidung ertränken viele Frust und Einsamkeit in Alkohol: Forscher haben Daten über 30-Jahre ausgewertet – und große Unterschiede im Alkoholmissbrauch von Männern und Frauen erkannt.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Männer und Frauen haben ein unterschiedliches Risiko für Alkoholmissbrauch nach einer Trennung.

Männer und Frauen haben ein unterschiedliches Risiko für Alkoholmissbrauch nach einer Trennung.

© thaumatrope/ iStock/ Thinkstock

Richmond. "Johnny Walker, Du hast mich nie enttäuscht! Johnny, Du bist mein bester Freund!", singt Marius Müller-Westernhagen und trifft damit wohl den Nerv vieler frisch Geschiedener. Nicht wenige von ihnen suchen Trost in hemmungslosem Alkoholkonsum, und manche gehen anschließend eine sehr langlebige Partnerschaft mit dem Alkohol ein.

So steigt das Risiko für einen Alkoholmissbrauch nach einer Scheidung dramatisch. Das beste Rezept dagegen: erneut heiraten. Letztlich überrascht es natürlich nicht, dass extreme Stressereignisse den Alkoholkonsum antreiben, das gilt auch für Ehekrisen.

Wie hängen Alkoholkonsum und Trennungen zusammen?

So haben bereits in der Vergangenheit epidemiologische Studien konsistent ein erhöhtes Risiko für problematischen Alkoholkonsum nach einer Trennung ergeben. Allerdings ließ sich in vielen dieser Studien nicht klar ermitteln, wie häufig der Alkoholmissbrauch Grund für die Scheidung und wie häufig die Trennung Ursache für einen steigenden Alkoholkonsum war, berichten Psychiater um Dr. Kenneth Kendler von der Universität in Richmond (Divorce and the Onset of Alcohol Use Disorder: A Swedish Population-Based Longitudinal Cohort and Co-Relative Study.AJP 2017, epub 20.1.17, DOI: 10.1176/appi.ajp.2016.16050589).

Auch ist unklar, ob die Ehe an sich einen protektiven Effekt hat und das Risiko für den Suchtmittelgebrauch nach einer Trennung dauerhaft erhöht bleibt. Genau das ist offenbar der Fall.

Daten von einer Million Schweden ausgewertet

Anhand von umfangreichen schwedischen Registerdaten haben die Psychiater den Zusammenhang etwas genauer aufschlüsselt. Dazu nahmen sie knapp eine Million Schweden unter die Lupe, die zwischen 1960 und 1990 geheiratet hatten, 1990 noch zusammenlebten und vor der Hochzeit nicht durch eine Alkoholerkrankung aufgefallen waren.

Von Alkoholproblemen wurde ausgegangen, wenn alkoholbezogene Diagnosen vorlagen, Alkoholprobleme in Kriminalakten erwähnt oder Medikamente gegen Alkoholstörungen verordnet wurden. Dank der vielen nationalen Register ließen sich solche Angaben mühelos erheben und zuordnen.

Bis Ende des Jahres 2008 – also über einen Zeitraum von 18 Jahren – ließen sich 16% in der Kohorte scheiden, rund 0,3% verwitweten. Für 1,1% aller Männer und 0,5% aller Frauen lieferten die Register Hinweise auf ein Alkoholproblem.

Das Durchschnittsalter zu Beginn der Ehe lag bei 30 Jahren, eine Scheidung fand im Schnitt mit 35 Jahren statt, Alkoholprobleme wurden im Mittel mit 38 Jahren registriert.

Sechsmal häufiger Alkoholmissbrauch bei Männern nach Scheidung

Berücksichtigten die US-Psychiater eine Reihe von soziodemografischen Faktoren, dann entwickelten Männer nach der Scheidung sechsfach häufiger Alkoholprobleme als solche, die verheiratet blieben. Bei Frauen war die Rate 7,3-fach erhöht.

Wurden alkoholspezifische Risikofaktoren wie geringes Einkommen der Eltern, Straffälligkeit als Jugendlicher oder junger Erwachsener sowie bekannte Alkoholprobleme in der Familie hinzugenommen, schwächte sich der Zusammenhang nur wenig ab. Bei Männern war die Rate für Alkoholmissbrauch nach einer Scheidung dann noch fünffach, bei Frauen 6,3-fach erhöht.

Vierfach erhöhtes Risiko nach einem Todesfall

War nicht die Scheidung, sondern ein Todesfall Grund für den Partnerverlust, neigten die Überlebenden ebenfalls zu erhöhtem Alkoholgenuss. In diesem Fall lag die Rate an Alkoholstörungen mit dem 3,9-fachen (Männer) und 4,1-fachen (Frauen) jedoch etwas weniger stark über der von weiterhin verheirateten Personen.

Da Alkoholprobleme zum Teil genetisch bedingt sind, versuchten die US-Forscher auch diesen Einfluss herauszurechnen. Sowohl bei Männern als auch Frauen lag die Rate für Alkoholprobleme nach einer Scheidung etwa viereinhalbfach höher als bei verheirateten Geschwistern. Wurden nur monozygotische Zwillinge berücksichtigt, war die Rate noch etwa dreieinhalbfach höher.

Eine Scheidung erhöht danach unabhängig von allen anderen Risikofaktoren die Gefahr für einen Alkoholmissbrauch um den Faktor 3,5 – bei Männern wie Frauen.

Lösung: neu heiraten?

Rund ein Viertel der Geschiedenen fand im Laufe des Analysezeitraums einen neuen Ehepartner. Bei ihnen war die Rate an Alkoholproblemen anschließend nur noch halb so hoch wie bei den weiterhin in Scheidung Lebenden.

Interessant ist auch der zeitliche Verlauf: Ein deutlicher Anstieg bei der Inzidenz erstmaliger Alkoholprobleme ließ sich bereits in den drei Jahren vor einer Scheidung beobachten, am häufigsten traten diese dann im Scheidungsjahr auf, anschließend persistierte das Risiko bei den nicht wieder Heiratenden auf hohem Niveau.

Bei Frauen gab es einen erneuten Schub von alkoholbezogenen Störungen 10–15 Jahre nach der Scheidung. Es ist also nicht nur der Scheidungsstress, der die Gefahr des Alkoholmissbrauchs erhöht, sondern vor allem das Leben ohne festen Partner.

Schließlich fanden die Forscher um Kendler heraus, dass eine Scheidung das Risiko für Alkoholprobleme insbesondere dann erhöhte, wenn der Partner zuvor keine hatte. Die Kontrolle durch einen Partner hält offenbar viele vom Trinken ab.

Alles in allem sehen die US-Psychiater in der Ehe einen erheblichen Schutzfaktor gegen Alkoholmissbrauch.

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