Gute Analgesie ermöglicht Sportteilnahme trotz Osteoporose

Eine Osteoporose fällt bei vielen Frauen erst durch Klagen über anhaltende dumpfe Bewegungs- und Ruheschmerzen auf. Ein wichtiges Ziel der Schmerztherapie ist es dann, die Teilnahme an aktiven Bewegungsprogrammen zu ermöglichen. Was bei der Analgetikaauswahl zu beachten ist, beschreibt Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Schmerztherapeut aus Göppingen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, in unserer heutigen Kasuistik.

Veröffentlicht:

    Wenn auch Sie eine interessante Kasuistik zum Thema Schmerztherapie haben, schreiben Sie uns Ihren Fall. Oder haben Sie einen besonders kniffligen Schmerzpatienten? Schildern Sie die Problematik! Wir werden sie an unsere Experten weiterleiten.

    Schreiben Sie an: Ärzte Zeitung, Ressort Medizin, Postfach 20 02 51, 63077 Offenbach oder per Email an: med@aerztezeitung.de

    Die aktuelle Situation

    Eine 56-jährige Patientin wird uns wegen zunehmender Schmerzen im Wirbelsäulenbereich und wegen seit drei Monaten zusätzlich bestehenden atemabhängigen Schmerzen links thorakal zur Behandlung überwiesen.

    Der erste Verdacht auf einen Myokardinfarkt konnte im EKG nicht bestätigt werden. Aus der Vorgeschichte sind ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus und eine instabile Hypertonie mit Spitzenwerten bis zu 190 mmHg systolisch bekannt.

    Bei der Untersuchung schildert die 165 cm große und 75 kg schwere Patientin erneut Schmerzen in der gesamten Wirbelsäule mit Schwerpunkten im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie der mittleren Brustwirbelsäule. Der Schmerzcharakter wird als eher andauernd dumpf geschildert, thorakal sind die Schmerzen auch einschießend.

    • Was ist bisher passiert?

    Zur Schmerzlinderung wird seit einem halben Jahr Diclofenac verordnet in einer Dosierung von dreimal täglich 75 mg. Hierunter kommt es aber immer wieder zu Magenschmerzen. Nach dem Auftreten einer Episode mit Teerstühlen, erhält die Patientin seit drei Monaten zusätzlich Omeprazol (20 mg täglich). Auffällig in der Anamnese ist, daß die früher sehr aktive Frau nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes vor sechs Jahren zunehmend inaktiv wurde und in den vergangenen drei Jahren wegen der Schmerzen alle körperlichen Aktivitäten, vor allem solche, die sie früher regelmäßig machte (schwimmen, wandern), vollständig eingestellt hat.

    • Was ist nun zu tun?

    Die körperliche Untersuchung ergibt eine ausgeprägte Kyphosierung der gesamten Wirbelsäule mit verspannter und verkürzter Rücken- und Schulter-Nacken-Muskulatur. Die gesamte Wirbelsäule ist spontan- und klopfschmerzhaft.

    Die neuroorthopädische Untersuchung zeigt eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit der Brustwirbelsäule. Die Atemwelle (siehe Kasten) zeigt eine ungleiche Entfaltung mit gestörter Wirbelfunktion in den Segmenten TH 4 und 5. Somit besteht der dringende Verdacht auf eine funktionelle Störung der BWS im Sinne einer Blockierung.

    In Anbetracht der anamnestischen Daten (Patientin in der Menopause, länger dauernde Inaktivität, Schmerzen an der ganzen Wirbelsäule) wird eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule veranlaßt sowie eine Knochendichte-Messung. Hierbei wird ein Knochendichte-Wert von 42 Prozent des Durchschnitts der Altersgruppe festgestellt sowie eine Keilwirbelbildung der Wirbelkörper BWS 5 und LWK 4. Ein Szintigramm ergibt aber keinen Hinweis auf eine frische Fraktur. Mit dem Ziel, die Schmerzlinderung zu verbessern und so auch ein aktives Bewegungstraining gegen das Fortschreiten der Osteoporose zu ermöglichen, wird eine Kombinationsbehandlung mit Bisphosphonaten (Fosamax® alle 7 Tage), Flupirtin (3 x 100 mg) sowie Oxycodon (Oxygesic®) begonnen.

    Von dem Opioid werden zunächst alle acht Stunden 10 mg eingenommen. Diese Dosis wird langsam auf eine Enddosis von 3 x 20 mg nach drei Wochen erhöht. Die anfänglich notwendige Begleitmedikation mit Antiemetika sowie Laxanzien ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nötig. Diclofenac wird abgesetzt, da über die Hemmung des Cox-2-Enzyms in der Niere mit nachfolgender Flüssigkeitsretention die Hypertonie verstärkt wird.

    Mit dieser analgetischen Therapie unter Beibehalten der bisherigen antihypertensiven Behandlung werden nun Blutdruckwerte um 130 bis 140 mmHg systolisch und 80 bis 90 mmHg diastolisch erreicht. Die Patientin kann außerdem an einem aktiven physiotherapeutischen Osteoporose-Übungsprogramm teilnehmen.

    Nach neun Monaten ergibt eine neue Osteodensitometrie eine deutliche Zunahme der Knochendichte auf inzwischen 65 Prozent der Altersnorm. Ein Jahr nach Beginn der Therapie leitet die Patientin sogar eine Osteoporose-Selbstshilfegruppe sowie eine Seniorentanzgruppe.



    FAZIT

    Die Effektivität dieser Behandlung beruht ganz wesentlich darauf, daß durch die Kombination von Opioid und Flupirtin der Patientin die Teilnahme an einer aktiven Osteoporose-Trainingstherapie ermöglicht wird. Opioide eignen sich hier besonders, da sie weder ulzerogen sind noch eine renale Flüssigkeitsretention und damit Blutdrucksteigerung bewirken. Auch Flupirtin hat keine gastrointestinalen und renalen unerwünschten Effekte und verstärkt zudem als Kaliumionenkanalöffner die Wirkung des Opioids. Die antichronifizierende Substanz kann außerdem die im Lauf der Krankheit aktivierten neuroplastischen Veränderungen (Lernprozesse des sensiblen Nervensystems) umkehren.

     

    Infarkt oder BWS-Blockierung? - die Atemwelle kann helfen

    Stechende präkordiale Schmerzen lassen zunächst an einen Myokardinfarkt denken. Geben bei der Diagnostik jedoch weder EKG-Veränderungen noch das Enzymmuster Hinweise auf ein solches Ereignis, können Wirbelkörperblockierungen der BWS den atemabhängigen Schmerzen, die oft eine tiefe Inspiration verhindern, zugrundeliegen.

    Wie sich der Verdacht mit einer einfachen Untersuchungstechnik - der Atemwelle - erhärten läßt, erläutert der Schmerztherapeut Dr. Gerhard Müller-Schwefe:

    Der Patient liegt dabei in Bauchlage, die Arme sind seitlich angelegt. Bei tiefer Inspiration entfalten sich nun die Dornfortsätze der Wirbelkörper von kranial nach kaudal. Wenn man die Augen in Höhe der Wirbelsäule hat und von seitlich beobachtet, sieht es aus, als wenn eine Welle über die Wirbelsäule geht.

    Bei gestörter Funktion eines oder mehrerer Segmente ist diese gleichförmige Bewegung unterbrochen, das blockierte Segment hebt sich nicht mit, sondern die Welle setzt sich unterhalb fort. Federnder Druck über dem betroffenen Segment ist hier in aller Regel schmerzhaft.

    Eine gezielte Chirotherapie kann diese Beschwerden dann meist rasch wieder beseitigen.

Mehr zum Thema

„ÄrzteTag“-Podcast

Was steckt hinter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, Dr. Jürgens?

Schmerzintensität, Häufigkeit und Dauer untersucht

Regelmäßiges Kaffeetrinken nicht mit Migräne assoziiert

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert