Fibromyalgie

Ins Dunkel kommt etwas Licht

Bei Fibromyalgie scheint eine Störung der C-Fasern vorzuliegen. Und auch beim „funktionellen“ Schmerz gibt es zumindest neue Hinweise auf eine organische Beteiligung.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Druckschmerzpunkte bei Fibromyalgie.

Druckschmerzpunkte bei Fibromyalgie.

© Henrie / fotolia.com

MAINZ. Fibromyalgie-Patienten leiden nicht nur unter ihren Schmerzen, sondern auch unter der fehlenden Erklärung für eben diese. So werden die Beschwerden nicht selten als psychosomatisch oder psychogen abgetan.

Zwar mangelt es nicht an Hypothesen zur Ätiologie und Pathogenese - sie reichen von Störungen im zerebralen Serotoninstoffwechsel, über eine abnorme Regulierung von Wachstumshormonen, Substanz P und Kortisol bis zu Veränderungen im Immunsystem.

Allerdings ist oft unklar, was hier Ursache, Folge oder nur Begleiterscheinung ist. Vielleicht können einige neue Befunde etwas mehr Licht ins Dunkel bringen: Sie deuten auf eine Störung der nicht-myelinisierten C-Fasern in der Peripherie.

Auf der Fortbildungsveranstaltung Neuro Update in Mainz hat Professor Arne May auf eine Studie bei 25 Fibromyalgie-Patienten hingewiesen, alle klagten außer über Ganzkörperschmerzen auch über typische Fibromyalgie-Beschwerden wie Mattigkeit, Schwächegefühl, Konzentrationsstörungen, Erschöpfung oder Schlafstörungen (Brain 2013; 136: 1857).

Sie wurden nun intensiv neurologisch und neurophysiologisch untersucht, die Ergebnisse haben die Forscher anschließend mit denen von gesunden Probanden und Depressiven ohne Schmerz verglichen.

Geringere Dichte von C-Fasern

Die Schmerz-evozierten Potenziale zeigten bei Fibromyalgie-Patienten im Vergleich zu den übrigen Testpersonen eine längere N1-Latenz zu den Füßen und reduzierte Amplituden bei einer Stimulation des Gesichts, der Hände und Füße, wie May berichtete.

Dies deute auf eine Schädigung der kleinen Fasern und ihrer zentralen Afferenzen. Auch die erhöhte Warm- und Kaltschwellendetektion spreche für eine Small-Fibre-Pathologie. Eine typische periphere Neuropathie konnte aber bei allen Patienten ausgeschlossen werden.

Nun schauten sich die Forscher auch die Morphologie und Funktion der Nervenfasern in Hautproben von Hüfte und Wade an. Dabei war die Dichte der nicht-myelinisierten C-Fasern bei den Patienten mit Fibromyalgie deutlich reduziert.

Das Ergebnis konnte inzwischen in einer weiteren Studie einer anderen Arbeitsgruppe bestätigt werden, sagte der Schmerzexperte und sprach von einem "Paradigmenwechsel": Die Hinweise auf ein neuropathisches Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie verdichteten sich.

May warnte aber davor, die Fibromyalgie aufgrund der bisherigen Befunde als "Small-Fibre-Neuropathie" zu bezeichnen. Dieser Begriff sei schon für eine gut charakterisierte Subgruppe von sensorischen Neuropathien reserviert, bei der brennende Schmerzen der Zehen und Füße im Vordergrund stehen.

Gestörte Schmerzverarbeitung?

Neue Erkenntnisse gibt es auch zu Patienten mit nicht nachvollziehbaren sensorischen und somatosensorischen Störungen. Die einen behaupten, sie seien gegen alles überempfindlich, also etwa Druck, Berührung, Licht, Duft und vor allem Schmerzreize (sensorische Über-Reaktivität).

Die anderen klagen, dass etwa Gesicht und der rechte Arm gleichzeitig taub sind - die Defizite folgen hier also nicht den Dermatomen, weshalb in der Regel von einer psychischen Störung ausgegangen wird (Konversionserkrankung).

In einer Studie ließ sich nun bei Patienten mit sensorischer Über-Reaktivität eine abnorme Reaktion auf Schmerzreize nachweisen: Während einer Serie von Hitzeimpulsen am Daumenballen verhielt sich die Schmerzwahrnehmung bei solchen Patienten zunächst nicht anders als bei gesunden Kontrollen.

Nach der Stimulation verschwand der Schmerz bei den Kontrollen langsam wieder. Auch bei den hyperreaktiven Patienten ging er zunächst zurück, stieg dann aber wieder auf das Niveau an, das er während der Stimulation zeigte. Für May deutet dies auf eine gestörte Schmerzverarbeitung in spinalen oder kortikalen Bereichen.

Auch bei Patienten mit somatosensorischen Defiziten, die nicht Dermatomen folgen, sollte man vorsichtig bei der Beurteilung sein. In einer Untersuchung waren bei solchen Patienten nicht häufiger als bei anderen Patienten psychische Störungen oder Traumata in der Vorgeschichte feststellbar, dafür aber vermehrt körperliche Verletzungen.

Man müsse hier vermutlich von einer multifaktoriellen Ätiologie ausgehen und sollte nicht vorschnell Begriffe wie "hysterisch" oder "funktionell" verwenden, empfahl May.

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