Palliativmedizin

Opioide verkürzen das Leben nicht

Den frühzeitigen Tod unter Umständen einzukalkulieren, wenn Symptome am Lebensende gelindert werden sollen, ist heute nicht mehr akzeptabel.

Von Friederike Klein Veröffentlicht:
Die Therapie am Lebensabend muss individuell sein.

Die Therapie am Lebensabend muss individuell sein.

© Conny Hagen / fotolia.com

WIESBADEN. "Indirekte Sterbehilfe ist kein Faktum", trat Dr. Imke Strohscheer, Vorsitzende des Arbeitskreises Palliativmedizin der DGHO aus St. Peter-Ording, einem immer noch einer an Hochschulen kommuniziertem Mythos entgegen.

Dahinter steht die Vorstellung, für die Linderung von Leiden könne es erforderlich sein, so hohe Dosen Opioide zu geben, dass ein unbeabsichtigter Tod in Kauf genommen wird.

"Dieser Mythos ist mit ein Grund, warum bis heute die Schmerztherapie noch zu zurückhaltend erfolgt", zeigte sich Strohscheer beim 120. Internistenkongress überzeugt. Dabei gibt es hierfür keinerlei Evidenz. "Keine Arbeit belegt eine Verkürzung des Lebens durch Opioidtherapie", betonte sie.

Das gilt auch für besondere Situationen, etwa die Erhöhung der Dosis zur Nacht. Nach Extubation zur Therapiebegrenzung am Lebensende sei sogar festgestellt worden, dass eine Erhöhung der Opioiddosis zur Linderung der Atemnot das Überleben noch etwas verlängerte (J Pain Symptom Manage 2011; 42(1): 44-51).

Individuale Therapie wichtig

Ehe es zu einer Atemdepression komme, würden zudem andere Nebenwirkungen der Opioidtherapie als Warnzeichen auf eine Überdosierung hinweisen, sagte Strohscheer, etwa Myoklonien, Halluzinationen und Psychosen - gerade bei älteren Patienten.

Wichtig sei aber eine individuelle Therapie, die Alter, Komorbiditäten und Polypharmazie sowie die Kinetiken der zur Verfügung stehenden Opiate berücksichtigt.

Auch spreche jeder Patient anders auf Opiate an, erinnerte Strohscheer bei der von der Österreichischen Gesellschaft für Innere Medizin (ÖGIM) organisierten Sondersitzung "Evidenzbasierte Therapie sterbender Patienten".

Transdermale Opioide sind für Strohscheer am Lebensende wenig geeignet, sie seien nicht gut genug steuerbar. Goldstandard sei hier bei fehlenden Kontraindikationen weiterhin Morphin.

Bei älteren Patienten und solchen mit Niereninsuffizienz empfiehlt Strohscheer dagegen eher Hydromorphon oder Oxycodon. Koanalgetika und die Zusammenarbeit mit dem ganzen Palliativteam helfen selbst in komplexen Schmerzsituationen weiter.

Atemnotplan für Patienten aufstellen

Viele Patienten vertrauen inzwischen auf eine gute Schmerztherapie am Lebensende. Ihre größte Sorge sei heute eher die Angst vor dem Ersticken, so Strohscheer.

Atemnot ist ein subjektives Symptom und korreliert nicht immer mit dem Sauerstoffpartialdruck des Bluts, erinnerte Dr. Verena Gartner, Palliativmedizinerin vom Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Reicht die kausale Therapie der Dyspnö nicht aus, ist auch hier die Opioidtherapie Mittel der ersten Wahl.

Dabei scheinen vernebelte Opioide in Studien wenig wirksam zu sein. Für alle anderen sei die Wirksamkeit zur Linderung der Atemnot nach einer Metaanalyse (Thorax 2002; 57(11): 939-44) mit guter Evidenz belegt, so Gartner.

 "Bei der Therapie sollte man sich an Wirksamkeit und Nebenwirkungen entlang titrieren", empfahlt die Palliativmedizinerin und warnte, zu früh mit der Titration aufzuhören.

Für andere medikamentöse Maßnahmen, etwa Benzodiazepine, Antidepressiva, Neuroleptika oder Steroide, fehle dagegen die Evidenz. Wichtig sei es, nicht-medikamentöse Maßnahmen zu berücksichtigen.

Wichtig für den Patienten sei ein Aufstellen eines Atemnotplans. Gehhilfen wie ein Rollator können die Atemnot lindern, möglicherweise indem sie helfen, die Atemhilfsmuskulatur zu aktivieren.

Luftstrom eines Ventilators hilft

Ein probates Mittel kann auch ein kleiner Ventilator sein, der vor das Gesicht gehalten wird. Der Luftstrom bringt den Patienten oft Erleichterung. Dafür gibt es sogar Evidenz aus einer kontrollierten Studie, die den Einsatz eines Handventilators vor dem Gesicht und - als Kontrolle - vor dem Knie verglich (J Pain Symptom Manage. 2010; 39(5):831-8).

Sauerstoff helfe nur bei hypoxämischen Patienten, hieß es bei der von der Österreichischen Gesellschaft für Innere Medizin (ÖGIM) organisierten Veranstaltung.

Österreich ist in diesem Jahr Partnerland des DGIM-Kongresses. Dem gemeinsamen Fortbildungsgedanken komme entgegen, dass die postgraduellen Ausbildungen in beiden Ländern fast vollständig harmonisiert worden seien, so Professor Herbert Watzke, Präsident der ÖGIM, vorab des Kongresses.

In Zeiten einer stark zunehmenden Ärztemigration werde dies für Internisten beider Länder von großem Vorteil sein. (Mitarbeit: ner)

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