Hintergrund

Fünf Tage Schulung: Erfolgsrezept bei Migräne

Mit Botulinumtoxin-Behandlung und Operationen drängen immer häufiger neue Methoden zur Therapie von Patienten mit chronischer Migräne auf den Markt. Am besten hilft vielen Migräne-Patienten ein integriertes Versorgungskonzept.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Bei Patienten mit chronischer Migräne - meist sind davon Frauen betroffen - reicht eine ambulante Versorgung oft nicht aus.

Bei Patienten mit chronischer Migräne - meist sind davon Frauen betroffen - reicht eine ambulante Versorgung oft nicht aus.

© Fred Goldstein / fotolia.com

Mit der steigenden Zahl therapeutischer Möglichkeiten für Patienten mit Migräne stellt sich für Ärzte die Frage, welche Therapie sich bei welchem Patienten am besten eignet.

Etwa ein Drittel aller Patienten mit schwerem, chronischem Migränekopfschmerz könnten durch eine ganz normale ambulante Versorgung adäquat versorgt werden. Das sagte Professor Hans-Christoph Diener, Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Duisburg-Essen, beim gemeinsamen Kongress der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft (DMKG) und der Internationalen Kopfschmerz-Gesellschaft (IHS) in Berlin.

"Ganz normal" heißt, dass die Patienten aufgeklärt und kopfschmerzträchtige Medikamente reduziert werden, außerdem eine Migräneprophylaxe begonnen wird.

Für die anderen Patienten sieht Diener vor allem zwei Optionen. Variante eins ist ein intensiviertes, multidisziplinäres Therapieprogramm, wie es derzeit in Hamburg, Essen, Jena und München angeboten und dort von den meisten Krankenkassen auch bezahlt wird.

Variante zwei ist der Einsatz von Botulinumtoxin, das bisher unter anderem in den USA und Großbritannien für die Indikation chronische Migräne zugelassen ist.

Stichwort: Chronische Migräne

Die Diagnose der chronischen Migräne stützt sich nach Angaben der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, wie bei allen primären Kopfschmerzformen, auf die Anamnese in Verbindung mit einem unauffälligen neurologischen Untersuchungsbefund.

Wesentlich sei die Abgrenzung gegenüber dem Kopfschmerz, der auf Substanzen oder deren Entzug zurückzuführen ist.

In der Vorgeschichte finden sich obligat Hinweise für eine Migräne (meist ohne Aura) mit zunehmender Attackenfrequenz, wobei die vegetativen Symptome graduell abnehmen und sich ein basaler Dauerkopfschmerz, der zeitweise von Attacken eines dann eher pulsierenden Kopfschmerzes überlagert wird, entwickelt (Cephalalgia 2004; 24 (Suppl 1): 1-160).

Während des intensivierten, fünftägigen Therapieprogramms lernen die Patienten unter Einbeziehung von Ärzten, Physiotherapeuten, Psychologen und anderen Berufsgruppen, wie sie mit ihren Kopfschmerzen umgehen und die Häufigkeit von Kopfschmerzattacken senken können. "Das ist extrem erfolgreich", so Diener.

Ein Jahr nach diesem Programm erfüllten 8 von 10 Patienten die mit den Krankenkassen vereinbarten Zielkriterien, nämlich eine mindestens 50-prozentige Verringerung der Kopfschmerzepisoden und der beruflichen Fehltage.

Die Compliance ist hoch: "75 Prozent der Patienten machen auch nach einem Jahr die einstudierten Übungen konsequent."

Nicht für alle Patienten ist die intensivierte Therapie freilich gleich geeignet. "Manche wollen oder können nicht fünf Tage lang ein Therapieprogramm machen. Es wird auch nicht überall angeboten", so Diener. Jenes Drittel der Patienten, bei denen die konventionelle ambulante Versorgung nicht ausreicht und ein Intensivprogramm nicht in Frage kommt, sieht der Experte als Zielgruppe für eine Behandlung mit Botulinumtoxin.

In Studien konnte die Frequenz der Kopfschmerzepisoden damit von 24 auf 16 Tage pro Monat gesenkt werden. "Diese Wirkung lässt nach 3 bis 4 Monaten nach. Dann muss die Behandlung wiederholt werden. Es gibt aber Patienten, die nach 2 bis 3 Zyklen deutlich besser sind und die dann ohne Botulinumtoxin klarkommen."

Ambulante Standardtherapie, intensivierte Programme und Botulinumtoxin: Mit diesen drei Optionen kann der großen Mehrheit der Migränepatienten effektiv geholfen werden, ist Diener überzeugt.

Definitiv keine Option ist für die Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft übrigens die operative Entfernung des Corrugator-Muskels im Bereich der Augenbraue. "Für diese so genannte Migräne-Chirurgie gibt es keinerlei gute Daten. Da raten wir eindeutig von ab", so Diener.

Er widersprach auch der These, wonach die Operation das gleiche Wirkprinzip wie Botulinumtoxin habe: "Mit Botulinumtoxin werden afferente Informationen unterdrückt und dadurch die zentrale Sensitivierung reduziert. Das ist etwas ganz anderes."

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