Spezialisten: Bei Krummzehen öfter Einlagen statt Skalpell!

Bei überlastungsbedingten Vorfußproblemen wie Hallux valgus muß nicht immer gleich operiert werden. Orthopäden beklagen die teilweise kritiklose Darstellung neuer Operationsmethoden und rufen zur Rückbesinnung auf erfolgreiche konservative Methoden auf, nämlich die Therapie mit Einlagen und Schuhzurichtungen.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Die Resektionsarthroplastik des Großzehen-Grundgelenks bei Hallux valgus ist in Deutschland lange ein Standardverfahren gewesen. Nur allmählich konnten sich gelenkerhaltende Operationstechniken durchsetzen. Die "rasante Entwicklung auf fußchirurgischem Gebiet" habe zu einer Unmenge fußchirurgischer Behandlungskonzepte geführt, die selbst für Fachleute kaum noch zu überschauen seien.

Darauf weisen die Orthopädinnen Privatdozentin Reneé A. Fuhrmann von der Universität Jena und Privatdozentin Christina Stukenborg-Colsman von der Medizinischen Hochschule Hannover hin ("Der Orthopäde" 34, 2005, 725).

Anpreisen von Op-Methoden wird kritisiert

Fuhrmann und Stukenborg-Colsman kritisieren das Anpreisen von als biologisch apostrophierten Op-Methoden oder von Frühergebnissen neuer Verfahren als zum Teil "wissenschaftlich fragwürdig". Dadurch würden Behandler oft mit unrealistischen Erwartungen seitens der Patienten konfrontiert.

Trotz erheblicher Fortschritte bei der Entwicklung neuer Implantate sowie bei Operationstechniken könnten mit der sachgerechten Verordnung von Einlagen überlastungsbedingte Vorfußbeschwerden oft deutlich gelindert werden. "Ebensowenig wie es für den Hallux valgus nur eine Operationsmethode gibt, kann die Verordnung von ,ein paar Spreizfußeinlagen’ wirklichen Behandlungserfolg erwarten lassen", so die Orthopädinnen.

Einlagen müssen mit Hilfe von Modellen hergestellt werden

Sachgerechte Einlagen-Verordnung heißt erstens: Schuh und Einlage müssen eine funktionelle Einheit bilden, daß heißt, der Konfektionsschuh muß gegebenenfalls orthopädietechnisch verändert werden. Und zweitens: Die Einlagenversorgung erfolgt anhand eines sorgfältig hergestellten Modells. Außer den klassischen Blau- und Gipsabdrücken gibt es dazu weitere Verfahren wie die elektronische plantare Fußdruckmessung - die Pedobarographie.

Sie hat den Vorteil, daß zusätzlich dynamische Fußdruckbilder erstellt werden können. Das kann wichtig sein, weil es in erster Linie um das Abstützen und das richtige Betten der Fußskelettanteile geht, nicht um die Korrektur von Fehlstellungen. Dabei wird der Druck von überlasteten Bezirken auf andere Zonen umverteilt.

Gerade beim metatarsalgiformen Symptomkomplex liege das Erfolgsgeheimnis oft in der Kombination von Einlagen und Abrollhilfe, so Dr. Hartmut Stinus aus Northeim und Orthopädieschumacher Ferdinand Weber aus Achern (Orthopäde 34, 2005, 776).

Dies wird klar, wenn man bedenkt, daß beim Abrollvorgang über die Metatarsalia I bis III etwa 80 Prozent der Kräfte abgewickelt werden. Die Großzehe überträgt beim Abstoßen vom Boden 30 Prozent des Körpergewichts. Bei Fehlstellungen ist diese Belastung deutlich größer. Mit einer angepaßten Mittelfußrolle könne der Spitzendruck in der Ballenregion auf 60 Prozent reduziert werden, so Stinus und Weber.

Eine wichtige Information für Orthopädieschumacher ist, inwieweit die Metatarsalia noch passiv beweglich und flexibel sind. Bei guter Flexibilität werden schmerzenden Mittelfußköpfchen mit nieren- oder herzförmigen Pelotten entlastet.

Wenn alle Mittelfußköpfchen schmerzen, ist die quere retrokapitale Entlastung Option. Dabei sei die exakte Einlagenanpassung an jedes einzelne Köpfchen wichtig, so Stinus und Weber. Bei Arthrose werden Versteifungen an der Einlage angebracht.

Kleinzehendeformitäten wie Hammer- oder Krallenzehen haben oft auch etwas mit Imbalancen der Fußmuskulatur oder Rückfußdeformitäten zu tun, so daß zur adäquaten Versorgung auch eine gute Rückfußführung der Einlage gehört. Hinzu kommen Erweiterungen des Zehenfaches. Ist die Ursache der Deformitäten ein Hohlfuß, sind die ganzsohlige Bettung und Lastverteilung wichtig.

Je nach Funktion müssen die verwendeten Werkstoffe mal sehr weich, mal hart sein. Organisches Material wie Leder, Kork, Holz, Filz und Gummi isolieren zwar gut, sind elastisch und nehmen den Schweiß auf. Nachteile seien aber der rasche Verschleiß und die oft mangelnde Formstabilität, so Stinus und Weber.

Deshalb werden diese Materialien mit stabilisierenden Kunststoffen wie Gießharz-Karbonfaser-Laminaten oder Weichschäumen kombiniert.



FAZIT

Orthopäden plädieren für ein differenziertes Vorgehen bei Vorfußdeformitäten. Operative Verfahren stehen nicht an erster Stelle. Vielmehr können mit individuell gefertigten Maßeinlagen und Schuhanpassungen Beschwerden effektiv gelindert werden. Einlagen werden mithilfe von Modellen und Methoden wie Pedobarographie hergestellt. Je nach Anfertigung werden Metatarsalköpfchen einzeln oder zusammen entlastet und der Rückfuß geführt. Organisches Material wie Kork, Leder und Filz wird mit Kunststoffen kombiniert.

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