Nach Knie-Op

Wann wieder ans Steuer?

Nach orthopädischen Eingriffen besteht große Unsicherheit darin, wann man den Patienten erlauben kann, sich wieder hinters Steuer zu setzen. Dass es dabei um weit mehr geht als um die Fähigkeit, auf die Bremse zu treten, bestätigt eine Literaturübersicht aus den USA.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Sechs Tage nach der Hüft-TEP wieder hinterm Lenkrad? Unvernüftig, meinen Experten.

Sechs Tage nach der Hüft-TEP wieder hinterm Lenkrad? Unvernüftig, meinen Experten.

© goodluz / fotolia.com

BALTIMORE. Ob Kniegelenksarthroskopie, Versorgung einer Mittelfußfraktur oder Hüft-TEP: Nach einem orthopädischen Eingriff drängen viele Patienten darauf, nach der Entlassung aus der Klinik so rasch wie möglich wieder aktiv hinterm Steuer am Verkehr teilnehmen zu dürfen.

Für den Orthopäden ist diese Situation heikel; er wird genötigt, eine Empfehlung abzugeben, ohne sich dabei auf ein Regelwerk berufen zu können.

US-Forscher haben eine systematische Literaturübersicht zum Thema durchgeführt (Clin Orthop Relat Res 2016; 474: 2557–2570). Ausgewertet wurden 34 Beiträge zum Autofahren nach Eingriffen an der unteren Extremität, acht zur oberen Extremität und sieben zu Wirbelsäulen-Operationen.

Derzeit existieren nur wenige Instrumente, die dem Orthopäden zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit seines Patienten zur Verfügung stehen. Die Bremsreaktionszeit ist eines: Dabei wird die Zeit gemessen, die zwischen einem simulierten Stimulus bis zum ersten Kontakt des Fußes mit dem Bremspedal vergeht.

Brems-, Stufen- und Aufstehtest

Häufig eingesetzt wird auch die absolute Bremszeit, also die Zeitspanne zwischen Stimulus und voll durchgetretenem Pedal. Daneben kann im sogenannten Stufentest gemessen werden, wie oft der Patient seinen Fuß innerhalb von zehn Sekunden abwechselnd rechts und links von einem Hindernis platzieren kann.

Der Aufstehtest schließlich misst, wie oft der Patient in der Lage ist, aufzustehen und sich wieder zu setzen, das Ganze ebenfalls in zehn Sekunden.

Kevin J. DiSilvestro von der University of Maryland School of Medicine und Kollegen leiten aus den Ergebnissen ihrer Studie folgende Richtwerte ab: Nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands gelangten die Patienten in der Regel nach vier bis sechs Wochen wieder auf ihr präoperatives Niveau im Bremstest zurück, nach Knie- und Hüftgelenkersatz betrug das Minimum zwischen zwei und acht Wochen (jeweils rechtes Bein).

Mindestens eine Woche dauerte es nach Eingriffen wie Meniskektomie des rechten Knies, Chondroplastie oder diagnostischer Arthroskopie. Am besten mit der Bremsfähigkeit korreliert war der Stufentest.

Nach der Versorgung von Frakturen an der unteren Extremität vergingen je nach Art des Eingriffs sechs Wochen (Osteotomie des Os metatarsale), neun Wochen (operativ versorgte Knöchelfraktur rechts) oder 18 Wochen (operative Versorgung von Plateau-, Pilon-, Fersenbein- oder gelenknahen Acetabulumfrakturen), bis die ursprüngliche Bremsfunktion wiedererlangt war.

Erschreckende Unvernunft auf Patientenseite

In einigen Fällen zeugen die Studiendaten von erschreckender Unvernunft auf Patientenseite: So gab es Kandidaten, die sich bereits sechs Tage nach der Hüft-TEP wieder hinters Lenkrad setzten. Patienten nach Arthroskopie nahmen häufig schon nach einem Tag wieder auf dem Fahrersitz Platz.

Nach Ersatz des rechten Kniegelenks steuerten 48 Prozent bereits nach einem Monat wieder aktiv durch den Straßenverkehr, beim linken Knie waren es 57 Prozent. Die von den Patienten eingehaltene Schonfrist nach Achillessehnen-Op lag nach Eigenauskunft im Mittel bei 49 Tagen.

Selbst eine Gehschiene oder ein Gipsverband waren für viele kein Hinderungsgrund, das Steuer zu übernehmen. Dabei hatte die Studie deutlich gezeigt, dass sowohl Bremsreaktionszeit als auch absolute Bremszeit in diesen Fällen deutlich beeinträchtigt waren.

"Das selbstständige Autofahren wird Patienten, die nach dem orthopädischen Eingriff immobilisiert sind, grundsätzlich nicht empfohlen", betonen DiSilvestro und sein Team.

Einsatz von Arzneien relevant

Bezüglich der oberen Extremitäten ergaben einzelne Simulatorstudien, dass die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt war, wenn der Patient rechts oder links eine Schulterschlinge, einen Kahnbein- oder Bennet-Gips trug.

Nach einem Schultergelenkersatz setzten sich 39 Prozent der Patienten innerhalb von einem Monat wieder ans Steuer, nach Karpaltunnel-Op vergingen im Schnitt neun Tage.

Nicht nennenswert verlängert war die Bremsreaktionszeit kurz nach einer Wirbelsäulen-Op. Dieser Parameter sei für die Fahrtauglichkeit jedoch "möglicherweise nicht das beste Maß", schränkt Seniorautor Kevin B. Freedman im Gespräch mit der Fachzeitschrift "CORR (Clinical Orthopaedics and Related Research)" ein.

Überhaupt könnten auf der Bremsreaktionszeit beruhende Empfehlungen allenfalls als Minimalvorgaben angesehen werden. Ein Patient solle auf keinen Fall Auto fahren, bevor sich diese Zeit nicht normalisiert habe, aber, so Freedman: "Es gibt noch eine Reihe weiterer Faktoren, die die Fahrtauglichkeit beeinflussen."

Schmerzen und die Einnahme von Analgetika gehörten ebenso dazu wie eingeschränkte Beweglichkeit, allgemeine körperliche Schwäche, Begleiterkrankungen wie Schlafapnoe, Herz- oder Nierenerkrankungen sowie der Einsatz von NSAR, Benzodiazepinen oder ACE-Hemmern.

Nach DiSilvestro und Kollegen fehlen prospektive Studien, in denen die Ergebnisse aus klinischen Fahrtauglichkeitstests mit tatsächlich gebauten Unfällen verknüpft werden. Bevor man Orthopäden für solche Ereignisse verantwortlich mache, müsse man ihnen zuerst bessere Daten an die Hand geben, auf deren Grundlage sich die Fahrtüchtigkeit im Einzelfall einschätzen lasse.

Den Experten zufolge liegt die Verantwortung ohnehin in erster Linie beim Patienten: "Dieser muss sich sicher fühlen und die mit dem Autofahren verbundenen Risiken akzeptieren." Der Orthopäde könne dabei nicht mehr tun, als ihn mit bekannten Fakten versorgen und entsprechend beraten.

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