Interview

"Vitamin-D-Mangel führt meist zu Knochenveränderungen"

Nicht nur alten Menschen, sondern bereits Kindern fehlt es Studien zufolge häufig an Vitamin D. Privatdozent Dr. Stephan Scharla erläutert, welche Folgen das für die Knochengesundheit hat.

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Dr. Stephan Scharla

Aktuelle Position: PD Dr. Stephan Scharla ist niedergelassener Internist und Endokrinologe in Bad Reichenhall. Seine Themenschwerpunkte sind Diabetes und Knochenstoffwechsel. Er ist zudem 2. Vorsitzender des Kuratoriums Knochengesundheit e.V.

Ärzte Zeitung: Sollten Kinder jetzt doch wieder mehr in die Sonne?

PD Dr. Stephan Scharla: Es ist in der Tat so, dass jetzt auch bei Kindern Vitamin-D-Mangel häufiger auftritt. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen spielen Kinder nicht mehr so oft draußen - etwa in Großstädten mit gefährlichem Straßenverkehr. Und wenn die Kinder sich dann doch einmal draußen aufhalten, wird häufig eine Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor aufgetragen, um vor Hautkrebs zu schützen.

Diese Sonnencremes mindern aber auch die Vitamin-D-Bildung! Von Vitamin-D -Mangel sind insbesondere auch Kinder mit Migrationshintergrund betroffen, wie etwa eine Untersuchung des Robert-Koch-Institutes zeigte. Gründe hierfür sind häufig dunklere Hautfarbe und kulturelle Gewohnheiten mit Tragen verhüllender Bekleidung. Das gilt vor allem für Mädchen.

Da die neuere dermatologische Forschung aber zeigt, dass eine moderate Sonnenbestrahlung das Hautkrebsrisiko sogar verringert, ist sicher ein Umdenken erforderlich: Kinder sollten durchaus in die Sonne, allerdings in Maßen und unter Vermeidung von Sonnenbrand. Hier ist eine regelmäßige, niedrig dosierte Sonnenexposition besser als eine kurzzeitige Exposition mit hohen Dosierungen. Das typische Sonnenbaden an südlichen Stränden im Urlaub ist also eher schädlich, während der regelmäßige Aufenthalt im Freien in unseren Breiten gesund ist.

Ärzte Zeitung: Wann genau liegt ein relevanter Vitaminmangel vor bei Kindern beziehungsweise Erwachsenen, der ein ärztliches Eingreifen erfordert?

Scharla: Man muss unterscheiden zwischen dem manifesten Mangel, der zu einer Störung des Mineralhaushaltes und zu Knochenerkrankungen (Rachitis bei Kindern, Osteomalazie und Osteoporose bei Erwachsenen) führt, und einem so genannten subklinischen Mangel.

Ein manifester Vitamin-D-Mangel ist durch laborchemische Veränderungen - zum Beispiel erhöhte alkalische Phosphatase, hohes Parathormon - an einer verminderten Festigkeit des Knochens einhergehend mit Brüchen, und auch durch Muskelschwäche gekennzeichnet. Weitere Symptome können Skelettschmerzen, Müdigkeit, Depressionen sein.

Der subklinische Mangel verursacht hingegen keine aktuellen Beschwerden, ist aber mit einem erhöhten Risiko für längerfristige Organerkrankungen assoziiert. So erhöht sich zum Beispiel das Risiko für die Entwicklung einer Osteoporose und für das Auftreten von Knochenbrüchen.

Aber auch das Risiko für Bluthochdruck, Herzkreislauferkrankungen, für Autoimmunerkrankungen, und für bestimmte Krebserkrankungen ist mit einem Vitamin-D-Mangel assoziiert.

Ebenso führt bei Kindern der subklinische Vitamin-D-Mangel zu einem verminderten Aufbau an Knochenmasse und zu einer erhöhten Infektanfälligkeit. Vieles spricht dafür, dass auch das Risiko für Autoimmunerkrankungen (z.B. Diabetes mellitus Typ 1) durch Vitamin-D-Mangel erhöht wird.

Die Abschätzung des Vitamin-D-Mangels anhand der Konzentration des 25-Hydroxyvitamin D - der Speicherform des Vitamin D im Körper - im Serum ist allerdings dadurch erschwert, dass die Messmethodik nicht immer präzise Ergebnisse liefert und dass auch der individuelle Vitamin-D-Bedarf unterschiedlich ist.

Als Anhaltspunkt gilt: Bei einem 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegel von unterhalb 10 nmol/l kann man davon ausgehen, dass klinische Manifestationen auftreten. Ein subklinischer Mangel besteht bei einer Konzentration unterhalb von 50 bis 75 nmol/l. Hier sind die Grenzen in der Literatur allerdings nicht einheitlich.

Ärzte Zeitung: Wie hoch ist das Risiko einzuschätzen, dass ein Mangel tatsächlich die erwähnten Folgen hat - vor allem für die Knochen?

Scharla: Dies ist schwierig einzuschätzen. Ein manifester Vitamin-D-Mangel wird fast immer auch zu Krankheitserscheinungen führen, insbesondere zu Veränderungen am Knochen. Schwieriger abzuschätzen ist die Bedeutung des subklinischen Mangels. Es wird eine Risikoerhöhung bis auf das Doppelte angegeben, wobei viele Daten nur aus Assoziationsstudien stammen.

Die besten Daten haben wir für die Verhütung von Knochenbrüchen: Ergebnisse aus Interventionsstudien sprechen dafür, dass das Risiko für Knochenbrüche durch den Ausgleich des Vitamin-D-Mangels um bis zu 20 Prozent gesenkt werden kann.

Schlechter ist die Datenlage bei anderen Erkrankungen: In einer neuen Studie war eine Vitamin-D-Supplementation mit einer Reduktion der kardiovaskulären Mortalität um die Hälfte assoziiert.

Es handelte sich aber nicht um eine kontrollierte Interventionsstudie, sodass die Daten mit Zurückhaltung gesehen werden müssen. In einer kontrollierten Studie aus Großbritannien war zum Beispiel nach drei Jahren kein Effekt einer Vitamin-D-Supplementation auf generelle Mortalität oder kardiovaskuläre Gesundheit festzustellen.

Ärzte Zeitung: Für wen ist folglich eine zusätzliche Vitamin-D-Einnahme sinnvoll und in welcher Dosis?

Scharla: Bei Säuglingen und Kleinkindern gehört eine Vitamin-D-Supplementation schon lange zum Standard. Es gibt zunehmend Erkenntnisse, dass auch in der Schwangerschaft für die Mütter eine gute Vitamin-D-Versorgung wichtig ist. Hier sollte die Dosis der Supplementation die empfohlenen Dosierungen (bis zu 1000 IE täglich) nicht überschreiten.

Für Kinder und Jugendliche, die wenig an die Sonne kommen, ist eine Supplementation ebenfalls sinnvoll: Dies gilt insbesondere für Migranten mit dunklerer Hautpigmentierung oder bei geringer Sonnenexposition aufgrund von verhüllender Bekleidung. Risikogruppen bei Erwachsenen sind Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen wie Zöliakie, Menschen mit zum Beispiel beruflich bedingter geringer Sonnenexposition und Migranten.

Da im Alter die Fähigkeit zur Vitamin-D-Synthese nachlässt, kann man zudem die Empfehlung geben, ab einem Alter von 60 Jahren aufwärts Vitamin-D-Supplemente einzunehmen. Ob man gefährdet ist, kann man im Zweifel durch Messung der 25-Hydroxyvitamin-D-Konzentration abschätzen.

Zur Dosis: Im Allgemeinen ist eine Zufuhr von 1000 IE bis 2000 IE Vitamin D pro Tag ausreichend. Die Einnahme der Tabletten oder Tropfen sollte zu einer Mahlzeit erfolgen, da Vitamin D aus dem Darm zusammen mit Fett besser aufgenommen wird.

Das Interview führte Ruth Ney

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