HINTERGRUND

Durch die Therapie mit Antikörpern hat Rheuma bei Kindern viel von seinem Schrecken verloren

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Erkranken Kinder an Rheuma, so ist das für sie oft besonders dramatisch. Denn eine rheumatoide Arthritis bedeutet für sie nicht nur häufige Schmerzen, sondern auch eine bittere soziale Isolation von ihren Altersgenossen, die nach Belieben herumtollen oder Sport treiben können.

Die juvenile, idiopathische Arthritis (JIA) verläuft wesentlich variabler als Rheuma bei Erwachsenen. Unterschieden werden dabei zum Beispiel die rein oligoarthritische Form, bei der oft nur ein bis vier Gelenke betroffen sind, und die rein polyarthritische Form. Beide haben eine relativ günstige Prognose.

Nach Angaben von Privatdozent Gerd Horneff von der Universität Halle-Wittenberg bildet sich die Erkrankung bei vier von fünf Kindern mit oligoarthritischer JIA und bei drei von fünf Kindern mit polyarthritischer JIA zurück. Problematischer sei jene Form der JIA, die mit Beschwerden an wenigen Gelenken beginne und sich im weiteren Verlauf auf viele weitere Gelenke ausdehne. Am ungünstigsten ist das Still-Syndrom, bei dem es außer zu Gelenkbeschwerden auch zu Fieber, Anämie und Exanthemen kommt und das nur bei einem von 20 Kindern von selbst abheilt.

Die klassischen Therapeutika wirken bei 80 Prozent der Kinder

Als klassische Therapeutika sind nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) und Methotrexat (MTX) zur Behandlung von Kindern mit JIA zugelassen. Sie wirken bei etwa 70 bis 80 Prozent der betroffenen Kinder, wie Horneff bei der 100. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin in Berlin sagte. Die Effektivität wird dabei mit einem speziellen Score für Kinder gemessen, in den unter anderen der subjektive Eindruck der Eltern, funktionelle Tests und die Zahl der betroffenen Gelenke eingehen.

"Für die Kinder, denen weder mit NSAR noch mit MTX geholfen werden kann, ist Etanercept im Moment die Substanz der Wahl", so Horneff. Er betreut in Deutschland ein Register, in das mittlerweile 428 Kinder aufgenommen wurden, die wegen einer therapierefraktären JIA mit dem TNF-alpha-Blocker Etanercept (Enbrel®) behandelt wurden. Etanercept ist derzeit das einzige Biological, das bei Kindern mit dieser Erkrankung zugelassen ist. Eine klinische Studie mit dem Ziel einer Zulassung für die Pädiatrie läuft außerdem mit Adalimumab (Humira®), ebenfalls ein TNF-alpha-Blocker.

Die im Register dokumentierten Erfolge von Etanercept seien bemerkenswert, sagte Horneff: Bei neun von zehn behandelten Kindern haben sich die Beschwerden um wenigstens dreißig Prozent verringert, bei acht von zehn Kindern um mindestens fünfzig Prozent und bei immerhin sechs von zehn Kindern sogar um 70 Prozent. "Auch die Zahl der Therapieabbrüche wegen Unverträglichkeit ist gering", berichtete der Rheumatologe. Nur etwa sechs Prozent der 428 Kinder aus dem Register mußten deswegen die Therapie beenden. Bei einem gleichgroßen Anteil wurde die Behandlung mit dem Präparat beendet, weil die Symptome komplett verschwunden waren.

Das Problem Rheuma bei Kindern hat somit durch den Dreiklang NSAR, MTX und TNF-Blockade zwar viel von seinen Schrecken verloren. Doch ausgerechnet die schwerste Form der JIA, das Still-Syndrom, widersetzt sich in vielen Fällen hartnäckig den Therapieversuchen der Kinderrheumatologen. "In unserem Register begann die Erkrankung bei etwa jedem fünften Kind als Still-Syndrom", wie Horneff berichtete.

Bei diesen schwerstkranken Kindern sei auch Etanercept in drei von vier Fällen wirkungslos, und da, wo es wirke, wirke es schwächer als bei der rein polyarthritischen Verlaufsform der JIA. Keinen Einfluß scheint der TNF-alpha-Hemmer auch auf das Auftreten und den Verlauf einer Uveitis zu haben, eine gefürchtete Komplikation bei Kindern mit JIA.

Hoffnung bei Still-Syndrom ruht auf neuen Biologicals

Hoffnungen werden deshalb in neue Biologicals gesetzt, die nicht als Gegenspieler des TNF-alpha wirken. Die Substanz Abatacept etwa, die gerade in Phase-III-Studien getestet wird, hemmt die Interaktion zwischen Immunzellen. Sehr vielversprechend findet Horneff auch die ersten Daten mit Atlizumab, einem Antikörper gegen den Immun-Botenstoff IL 6, der die Entzündungsreaktion forciert. Die Substanz wurde kürzlich in einer Pilotstudie bei elf Kinder mit Still-Syndrom untersucht. Bei zehn der Betroffenen verringerte sich die Symptomatik. Vielleicht gibt es hier einen Lichtschimmer am Horizont - zumindest für die nächste Generation von Kindern mit dieser schweren Erkrankung.



FAZIT

Mit nicht-steroidalen Antirheumatika, Methotrexat und Gegenspielern des Botenstoffs TNF-alfa kann bei einem Großteil der Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) die Symptomatik kontrolliert oder sogar zum Verschwinden gebracht werden. Problematisch ist noch die Therapie beim Still-Syndrom, der systemischen Form der JIA, und bei Entzündung der Regenbogenhaut, die auf TNF alpha-Blocker nicht oder nur unzureichend ansprechen. Neue Biologicals, die andere Moleküle der Entzündungskaskade ausschalten, werden in Studien getestet.

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