Hintergrund

Heilung bei Rheuma: Sind Gedächtniszellen der Schlüssel?

Rheumatische Erkrankungen hängen eng mit dem immunologischen Gedächtnis zusammen.

Von Anna Julia Voormann Veröffentlicht:

Die Entzündungsreaktionen bei Rheuma verlaufen in Wellen. Zudem ziehen sich Gedächtniszellen nach einem Autoimmunangriff zur Ruhe ins Knochenmark zurück. Das haben zwei Studien des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin (DRFZ) ergeben. Diese Erkenntnisse bringen die Zellbiologen des DRFZ ihrem Ziel näher, eines Tages die krank machenden Erinnerungen des Körpers auszulöschen und Rheuma heilbar zu machen.

Eine wichtige Rolle bei der körpereigenen Abwehr spielen bestimmte weiße Blutkörperchen, die T-Helfer-Zellen (TH-Zellen). Sie reagieren auf Eindringlinge wie Bakterien oder Viren, indem sie eine sich stufenweise verstärkende Antwort des Immunsystems hervorrufen. Bei Rheuma erkennen die TH-Zellen körpereigenes Gewebe als fremd und veranlassen als TH1-Zellen eine Entzündung. TH1-Zellen produzieren unter anderen das Protein T-bet. T-bet wiederum steuert maßgeblich die entzündlichen Vorgänge.

T-Helferzellen sollen gezielt ausgeschaltet werden.

Jetzt wurde gezeigt, dass die Aktivierung von T-bet in zwei Wellen erfolgt. Erst die zweite Welle stößt - vermittelt durch den Botenstoff Interleukin-12 - die eigentliche zerstörerische Entzündung der Gelenke an. Um die zugrunde liegenden komplizierten Regelkreise in der Zelle zu entschlüsseln, kombinierten die Forscher aus Berlin in Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg Experimente und mathematische Modelle. "Je genauer wir die Arbeitsweise der T-Helferzellen kennen, umso näher kommen wir dem von uns verfolgten Ansatz für neue Therapien: die gezielte Ausschaltung dieser Zellen", sagt Professor Andreas Radbruch, Direktor des DRFZ.

Die rheumatische Entzündung verläuft schubförmig: Nach einer Ruhephase kommt es erneut zu Beschwerden, oft an verschiedenen Gelenken. Auslösend wirken sogenannte Gedächtnis-T-Lymphozyten. Sie speichern die Erinnerung an frühere Angriffe. Die Immunantwort lässt sich auf diese Weise jederzeit wieder abrufen - und das sogar bis zu 100-mal stärker. Ohne Medikamente flammt die rheumatische Entzündung deshalb immer wieder auf. "Derzeitige Therapien basieren ausschließlich auf der Unterdrückung der entzündlichen Symptome", sagt Zellbiologe Radbruch.

Bislang nahmen Forscher an, dass die Gedächtniszellen dauerhaft im Blut kreisen. Doch jetzt ist klar: Wenige Wochen nach ihrer Bildung ziehen sich 80 Prozent der Zellen ins Knochenmark zurück. Dort sind sie fest an Bindegewebszellen gebunden. Ihr Stoffwechsel ist verlangsamt. Erst ein erneuter Kontakt mit einem als fremd erkannten Antigen weckt sie aus diesem Ruhezustand. Die Forscher zeigten außerdem, dass es danach zur Aktivierung von B-Zellen kommt. Diese setzten eine erneute Entzündungsreaktion in Gang.

Je besser die Kenntnis entzündlicher rheumatischer Erkrankungen ist, desto größer sind die Chancen für neue wirksame Arzneimittel. "Grundlagenforschung ist dabei eine ganz wesentliche Voraussetzung", sagt Radbruch. Zur Strategie gehöre es, Zellen des immunologischen Gedächtnisses zu zerstören oder für sie überlebenswichtige Signale zu blockieren. "Dem sind wir nun ein gutes Stück näher gekommen", so Radbruch.

Immunity 30, 2009, 673 und Immunity 30, 2009, 721

Deutsches Rheuma-Forschungszentrum (DRFZ)

Das DRFZ in Berlin untersucht die Grundlagen rheumatischer Erkrankungen. Anliegen des DRFZ ist es, gewonnene Erkenntnisse direkt in die Therapie von Menschen mit Rheuma einzubringen. 150 Forscher aus 16 Nationen arbeiten in 24 Forschungsgruppen und stehen in engem Austausch mit Kollegen aus Deutschland, Europa, Japan und den USA.

Das DRFZ wurde 1988 gegründet, seit 2009 ist es Mitglied der Leibniz Gemeinschaft. Ziel der Forscher am DRFZ ist, Rheuma eines Tages heilbar zu machen. www.drfz.de

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