Interview

"Harnsäure unter 6 mg/dl ist breiter Konsens"

Nur etwa jeder zweite Patient erreicht den in Leitlinien geforderten Zielwert von weniger als 6 mg Harnsäure pro Deziliter. Ohne der Physik Genüge zu tun, also das Löslichkeitsprodukt von 6,8 mg/dl zu unterschreiten, lassen sich die klinischen Manifestationen in Gelenken und Geweben nicht verhindern, sagt Professor Klaus Krüger.

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Ärzte Zeitung: Wann sollte der Harnsäure-Wert bestimmt werden?

Prof. Klaus Krüger

Aktuelle Tätigkeit: Niedergelassener Rheumatologe, Praxiszentrum St. Bonifatius in München.

Karriere: seit 1990 Leitender Oberarzt in der Rheuma-Einheit und Oberarzt in der Medizinischen Poliklinik der Ludwig Maximilians-Universität München; seit 1993 zusätzlich Koordinator und Mitglied des Vorstandes des Rheumazentrums München. (eb)

Professor Klaus Krüger: Bei der Abklärung von Gelenkerkrankungen ist diese Bestimmung Standard. Grundsätzlich sollte der Arzt bei übergewichtigen und niereninsuffizienten Patienten, bei Patienten mit anderen Komponenten des metabolischen Syndroms sowie bei jenen mit positiver Familienanamnese über den Harnsäure-Wert Bescheid wissen.

Zudem muss unter bestimmten Gegebenheiten an die Möglichkeit einer sekundären Hyperurikämie gedacht werden - beispielsweise durch Krankheiten mit Zellzerfall, etwa bei Tumoren oder Diuretika-Einnahme, um nur die Wichtigsten zu nennen.

Ärzte Zeitung: Warum ist es so wichtig, den Harnsäurespiegel konsequent und dauerhaft auf unter 6 mg/dl zu senken?

Krüger: In allen nationalen und internationalen Empfehlungen findet sich als Grenzwert, der nicht überschritten werden sollte, ein Wert von 6 mg/dl. Wenn der Patient anamnestisch bereits Gichtanfälle oder tophöse Ablagerungen gehabt hat, ist dies nur durch eine dauerhafte Therapie sicher gewährleistet.

Ein Absetzen oder Unterbrechungen der Therapie würde bedeuten, dass sie mit Sicherheit wieder auftreten. Auf lange Sicht führt dies zu multiplen irreversiblen Schäden, zum Beispiel an den Gelenken oder der Niere. Ist der Harnsäure-Wert dagegen so niedrig, dass keine Kristalle mehr gebildet werden, ist die Gicht "geheilt", solange der Wert unter der Behandlung in diesem Bereich bleibt.

Ärzte Zeitung: Was ist anders an diesem Grenzwert im Vergleich zum Blutdruckzielwert oder HbA1c?

Krüger: Soweit bisher bekannt, wird Harnsäure erst nach ihrem Ausfall in Kristallform zu einem schädigenden Agens. Dies geschieht ab einer Konzentration von etwa 6,8 mg/dl. Einen gewissen Sicherheitsbereich eingerechnet gelangt man so zur Grenzwert-Empfehlung von 6 mg/dl.

Eine noch straffere Einstellung, zum Beispiel auf einen Wert von 5 mg/dl, bringt nur noch wenig Zusatznutzen und ist deshalb entbehrlich.

Ärzte Zeitung: Wie beraten Sie den Patienten zu Beginn der Therapie?

Krüger: Wenn eine Harnsäure-senkende Therapie neu begonnen wird, besteht die Gefahr, dass dadurch Harnsäure-Depots im Körper mobilisiert werden und der Harnsäure-Spiegel akut zum Ansteigen gebracht wird. So können neue Gichtanfälle entstehen. Dies kann und sollte medikamentös verhindert werden.

Ärzte Zeitung: Mit welchen Medikamenten?

Krüger: Dies ist auf zwei Wegen möglich: durch eine begleitende entzündungshemmende Therapie mit Antiphlogistika (NSAR oder Kortikoide) für 3 bis 6 Monate oder durch die begleitende Gabe von niedrig dosiertem Colchicin (Colchicum dispert 2 x 1) für den gleichen Zeitraum. Letzteres ist für viele Patienten die nebenwirkungsärmere Variante.

Ärzte Zeitung: Gibt es Fälle, bei denen die Therapie der Hyperurikämie bereits vor dem ersten Gichtanfall gerechtfertigt ist?

Krüger: Das wird in der Fachwelt ständig intensiv und durchaus kontrovers diskutiert. Im Moment geben die Guidelines und Empfehlungen mehrheitlich an, dass die asymptomatische Hyperurikämie nicht behandelt werden sollte.

Denn bisher fehlen prospektive Studien, die zeigen würden, dass hiervon bereits ein schädigender Einfluss ausgeht.

Ärzte Zeitung: Warum fällt die Harnsäure bevorzugt in geschädigten Gelenken und in der Peripherie aus?

Krüger: Im geschädigten Gelenk begünstigt ein entzündliches saures Milieu den Ausfall von Harnsäure in Form von Kristallen, in der Peripherie - zum Beispiel subkutan - eine im Vergleich zum Körperzentrum niedrigere Temperatur, denn beides senkt den Löslichkeitsgrenzwert.

Sind Kristalle ausgefallen, können sie wiederum explosionsartig den Ablauf einer heftigen Entzündungsreaktion im Gelenk in Gang setzen.

Das Interview führte Wiebke Kathmann

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