Interview

"Männer sterben lieber stark und früh"

Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen darf nicht heißen, dass Männer medizinisch benachteiligt werden, sagt Dr. Wolfgang Bühmann, der Sprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen. Zudem brauchen Männer die Frauen, um ihr Gesundheitsbewusstsein zu stimulieren.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Dr. Wolfgang Bühmann

'Männer sterben lieber stark und früh'

© sbra

Aktuelle Position: seit 1992 niedergelassener Facharzt für Urologie, Andrologie und Medizinische Tumortherapie, seit 2008 in Wenningstedt-Braderup auf Sylt

Werdegang: nach dem Medizinstudium Weiterbildung zum Facharzt für Urologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und in den Städtischen Kliniken Delmenhorst

Tätigkeiten: Pressesprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen (BDU), Schriftleiter der Zeitschrift "Der Urologe" (Springer Medizin Verlag)

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Bühmann, seit einigen Jahren ist viel von "Gender Medicine" die Rede, wobei der Eindruck besteht, dass bevorzugt auf physiologische und pathophysiologische Besonderheiten der Frauen eingegangen wird. Geraten die Bedürfnisse männlicher Patienten ins Hintertreffen?

Dr. Wolfgang Bühmann: Ja, das würde ich schon sagen. Männer haben im Allgemeinen ein eher distanzierteres Verhältnis zur Gesundheit als Frauen. Das drückt sich auch darin aus, dass sich um die Frauengesundheit vergleichsweise mehr gesorgt wird.

Zugleich sind Frauen die Mediatoren männlicher Gesundheit. Männer kümmern sich um ihre Gesundheit relativ wenig, das findet auch seinen Ausdruck in der kürzeren Lebenserwartung als bei Frauen.

Wie geht es denn den Männern in Deutschland?

Bühmann: Wenn man dem Männergesundheitsbericht des Robert Koch-Instituts aus diesem Jahr glauben darf, geht es den Männern zumindest körperlich und im Vergleich zur Vergangenheit gut. Chronische Krankheiten sind heute besser behandelbar als früher und die Lebenserwartung ist auch in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich weiter angestiegen.

Der Unterschied in der Lebenserwartung im Vergleich zu den Frauen beträgt bei der Geburt allerdings immer noch fünf Jahre und es sterben fast doppelt so viele Männer vorzeitig, also im Alter von unter 65 Jahren: pro 100.000 Einwohner nämlich jeweils 227 Männer und 124 Frauen.

Gerade bei Männern scheint dies auch sozioökonomischen Einflüssen geschuldet zu sein, Armut wirkt sich also bei Männern stärker auf die Lebenserwartung aus als bei Frauen.

Laut RKI könnte ein großer Teil der Sterbefälle vermeidbar sein. Somit gibt es ein erhebliches Präventionspotenzial. Und schaut man sich schließlich die seelische Gesundheit von Männern an, ist es darum nicht wesentlich besser bestellt als früher.

 Um psychische Probleme kümmern sich Männer ja bekanntlich noch weniger als um die körperliche Gesundheit. Es ist schwer, zu diesem sensiblen Bereich überhaupt einen Zugang zu finden.

Welche seelischen Probleme meinen Sie?

Bühmann: Die psychischen Belastungen im Beruf und in Balance zum Privatleben sind aus meiner Sicht größer geworden. So hat zum Beispiel die Zahl der durch psychische Erkrankungen verursachten Arbeitsunfähigkeitstage deutlich zugenommen.

Das hat etwas mit der Arbeitsverdichtung pro Zeiteinheit zu tun, es wird in der heutigen Arbeitswelt maximale Effizienz erwartet. Des Weiteren ist eine steigende Suizidrate zu verzeichnen: Drei Viertel aller Suizide werden von Männern begangen. Suizide sind ja fast immer durch psychische Belastungen ausgelöst.

Waren früher besonders alte Menschen suizidgefährdet, verlagert sich offensichtlich die Häufung von Suiziden in jüngere Altersgruppen. So sehen wir einen deutlichen Häufigkeitsgipfel in der Altersgruppe 45 bis 50 Jahre.

Wie sieht es mit den somatischen Krankheiten aus?

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Bühmann: Wenn ich einmal die urologischen Krankheiten betrachte, so hat die Häufigkeit des Prostatakarzinoms nominell zugenommen mit inzwischen 68.000 Neuerkrankungen pro Jahr.

Allerdings spielt hierbei sicher eine Rolle, dass heute viel mehr Prostatakarzinome erkannt werden als früher, daraus lässt sich nicht zwangsläufig eine Zunahme der absoluten Zahl ableiten.

Prostatakarzinom, Bronchial- und Kolonkarzinom konkurrieren bei den Männern stets um die ersten drei Plätze in der Häufigkeitsstatistik. Beim Bronchialkarzinom scheint der Gipfel überschritten zu sein, die Männer rauchen immer weniger. Natürlich spielen die Herzkreislaufkrankheiten noch immer die Hauptrolle.

Wo muss man ansetzen, wenn man die Lücke in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen schließen möchte?

Bühmann: Ansetzen muss man beim Gesundheitsbewusstsein im Hinblick auf die Primärprävention, auf die Früherkennung von Krankheiten und die Sekundärprävention. Dabei muss unser Handeln sowohl die Lebenserwartung im Blick haben als auch die Lebensqualität.

Vor allem brauchen wir natürlich den Mann selbst: Bei ihm muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie man Krankheiten vermeiden kann und dass bei Symptomen einer Krankheit möglichst frühzeitig ein Arzt aufgesucht wird. Noch immer stirbt der Mann lieber stark und früh als chronisch krank und spät.

Das hat etwas mit dem männlichen Rollenverständnis zu tun. Dieses Rollenverständnis muss man durchaus bis zu einem gewissen Grade akzeptieren, weil es zum großen Teil biologisch determiniert ist.

Sie sagen, man muss es akzeptieren, aber versucht man nicht gerade, dieses Rollenverständnis aufzubrechen, weil Prävention und Früherkennung nur dann funktionieren würden?

Bühmann: Selbstverständlich ist das Rollenverständnis gesellschaftlich längst überholt. Aber Tatsache ist, dass sich die Rate der seit den 1970er-Jahren gesetzlich festgeschriebenen Früherkennungsuntersuchungen kaum verändert hat. Seit 40 Jahren liegt sie konstant bei etwa 14 Prozent.

Immer mal wieder wird viel Geld in Kampagnen investiert, zum Beispiel um die Darmkrebs-Früherkennungsrate zu steigern. Signifikant geändert hat das nichts. Es mangelt einfach an der Akzeptanz solcher Programme. Das männliche Rollenverständnis aufzubrechen, ist schwierig, denn Männer definieren den Arztbesuch vielfach als Zeichen der Schwäche.

Ist denn der Gang zum Urologen für den Mann eher akzeptabel als der Besuch beim Hausarzt, könnten also Urologen die Türöffner sein für ein verbessertes Vorsorgeverhalten?

Bühmann: Das glaube ich nicht. Die Hürde, zum Urologen zu gehen, ist eher noch höher als beim Allgemeinmediziner oder Internisten. Der Herzinfarkt ist nun mal eine gesellschaftlich anerkannte Erkrankung, denn er trifft angeblich starke, dynamische, leistungsfähige Männer.

Wir Urologen dagegen haben immer noch den Ruf, unsere Patienten mit blitzenden Instrumenten aus Stahl zu quälen, und zwar in einer Körperregion, die schambesetzt ist. Wenn der Mann beim Urologen war und er eines besseren belehrt worden ist, dann hat man ihn in der Tat gewonnen.

Nicht vergessen sollten wir die flankierende Beratung der Partnerin. Sie ist der beste Garant für die Teilnahme des Mannes an Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen. Vielleicht wäre das sogar der beste Ansatz: Die Frauen und die Familien zu ermuntern, derartige Angebote den Männern schmackhaft zu machen.

Der Frauenarzt begleitet die Frauen das ganze Leben. Brauchen wir einen Männerarzt?

Bühmann: Natürlich kann der Urologe ein Begleiter für das ganze Männerleben sein in Bezug auf speziell den Mann betreffende Krankheiten. Insofern werden wir aber nie in Konkurrenz zum Hausarzt oder Internisten treten. Der Türöffner muss also eher der Hausarzt sein.

Wir Urologen verstehen uns als Ergänzung mit bestimmten Schwerpunkten. So treffen 30 Prozent der onkologischen Erkrankungen des Mannes das urologische Fachgebiet. Allerdings ist der Urologe nicht der Männerarzt, schließlich behandeln die Urologen zu 30 bis 40 Prozent Frauen.

Dennoch sind es doch vor allem Urologen, die sich in der Öffentlichkeit als Spezialisten für Männermedizin präsentieren.

Bühmann: Das hat eher historische Gründe. Der Hausarzt ist der Arzt für die ganze Familie. Der Urologe ist insofern der ärztliche Begleiter für das Männerleben, weil er sich mit den spezifisch männlichen Problemen von der Pubertät bis zur Phase der Androgenabnahme auskennt. Insofern kennen wir auch die männlichen Spezifika des Älterwerdens.

Auch in der Öffentlichkeit wird immer wieder darauf hingewiesen, dass zum Beispiel Erektionsstörungen erste Hinweise auf Herzkreislaufkrankheiten oder Diabetes mellitus sein könnten. Das männliche Glied als "Antenne des Herzens" - eine Metapher, die nicht nur kardiologisch gemeint ist. Das zieht nicht?

Bühmann: Doch schon. Nur leider brauchen die Männer mit Erektionsstörungen im Durchschnitt etwa drei Jahre, bevor sie sich damit zum Urologen oder einem anderen Arzt begeben. Das sind oft Männer, die sich nie bei einem Hausarzt blicken lassen. Ihr Erektionsproblem belastet sie derart, dass sie beim Urologen auftauchen.

Dann haben wir die Chance, zu sagen: Lass‘ mal dein Herz untersuchen! Insofern sind Urologen, Allgemeinärzte und Internisten prädestiniert dafür, gemeinsam etwas für eine steigende Lebenserwartung bei Männern zu tun. Wen der Patient als erstes aufsucht, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.

Es werden inzwischen "Alterstests" für Männer angeboten oder auch molekulargenetische Analysen zur Bestimmung spezieller Krankheitsrisiken - was halten Sie davon?

Bühmann: Das kommt auf die Validität der Tests und deren Konsequenzen an. Es ist richtig, wissenschaftlich daran zu arbeiten, das individuelle Risiko altersbedingter Krankheiten bestimmen zu können.

Sinnvoll sind solche Tests aber nur, wenn daraus sinnvolle Präventions-, Früherkennungs- oder Behandlungsmaßnahmen resultieren. Solche Untersuchungen werden aber auch deshalb entwickelt, um künftig unsere therapeutischen Möglichkeiten fortzuentwickeln.

Wie meinen Sie das?

Bühmann: Im Moment praktizieren wir überwiegend Reparaturmedizin. In der Zukunft können wir vielleicht absehbare starke Gesundheitsschäden reduzieren. Insofern begrüße ich, dass es seit einigen Jahren in Hamburg einen Lehrstuhl für Männergesundheit gibt, der ja auch mit Forschungsaufgaben verbunden ist. Das ist ein gesellschaftliches Signal: Wir kümmern uns um die Männergesundheit!

Solche Signale sind notwendig, wenn man zum Beispiel sieht, dass in die Erforschung des Mammakarzinoms seitens staatlicher Stellen sieben Mal mehr Geld investiert wird als in die Erforschung des Prostatakarzinoms. Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen darf nicht heißen, dass Männer medizinisch benachteiligt werden.

Sie haben angedeutet, dass Urologen, Hausärzte und Internisten in Bezug auf ihre männlichen Patienten eigentlich keine Konkurrenten sind. Was wünschen Sie sich als Urologe von Ihren Kollegen, wenn es um Primärprävention und Früherkennung von Krankheiten bei Männern geht?

Bühmann: Ein Wunsch ist, dass erhobene Befunde zeitnah ausgetauscht werden, wenn sich der Patient entschlossen hat, sich von den verschiedenen Fachärzten behandeln zu lassen. Wenn es um urologische Belange geht, ist es gut, wenn sich der Hausarzt frühzeitig mit dem Urologen ins Benehmen setzt.

Ich würde mich freuen, wenn Internisten und Allgemeinärzte besonders den Part der Prostatakrebsvorsorge uns Urologen überlassen würden. Denn die derzeitige vorwiegend mediengesteuerte PSA-Hysterie verunsichert die Patienten und der PSA-Wert bedarf einer Übersetzung durch den Urologen.

Ich finde, wir können uns in unserer Arbeit zum Wohle der männlichen Patienten sehr gut ergänzen. Wenn wir das praktizieren, werden Männer auch eher bereit sein, sich der Vorsorge zu unterziehen.

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