INTERVIEW

"Den künstlichen Menschen wird es nicht geben"

Jedes Organ hat sein Ablaufdatum. Die moderne Wissenschaft vermag den einen oder anderen Ausfall mit unterschiedlichen Erfolgen zu überbrücken. Gewebe dauerhaft künstlich zu ersetzen ist ein alter Menschheitstraum. Wie weit dieser im klinischen Alltag umsetzbar ist und was die Zukunft bringt, verrät Professor Dieter Falkenhagen im Gespräch mit Dietmar Schobel von der "Ärzte Woche".

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Ärzte Woche: Immer wieder sterben Menschen, während sie auf Transplantationen warten. Wird diese Situation aufgrund leistungsfähigerer künstlicher Organe bald der Vergangenheit angehören?

Professor Dieter Falkenhagen: Manche Organfunktionen können heute schon sehr erfolgreich künstlich ersetzt werden. Das gilt etwa für die Niere. Dank moderner Dialysetechniken sind bei jüngeren Patienten auch Überlebensraten von mehreren Jahrzehnten keine Seltenheit mehr.

Ärzte Woche: Wie definieren Sie denn "künstliches Organ"?

Falkenhagen: Ein künstliches Organ kann als System beschrieben werden, das aus nicht-biologischen Materialien wie Kunststoff oder Metallen besteht und die Funktion eines menschlichen Organs ersetzen soll.

Ärzte Woche: Es geht also immer um nicht-biologische Materialien?

Falkenhagen: Nein, geforscht wird auch an bio-artifiziellen Organen, für die biologische Materialien technisch bearbeitet werden. Das umfasst auch Tissue Engineering, also etwa, wenn menschliches Haut- oder Knorpelgewebe entnommen und gezüchtet wird. Das wird schon sehr erfolgreich umgesetzt, zum Beispiel, um verbrannte Haut zu ersetzen oder teilweise beschädigte Knorpel.

Ärzte Woche: 1982 wurde das erste Kunstherz eingepflanzt, was das Leben des Patienten um 112 - nach Berichten qualvolle - Tage verlängert hat. Wie ist hier der heutige Stand?

Falkenhagen: Aktuell sind vor allem Techniken zu nennen, die das Herz nicht ersetzen, sondern seine Funktionen teilweise übernehmen sollen - speziell sogenannte Left Ventricular Assist Devices (LVAD). Sie dienen meist dazu, die Wartezeit bis zu einer Herztransplantation zu überbrücken. LVAD entnehmen Blut aus der linken Herzkammer und pumpen es in die Aorta. Die aktuellsten Modelle arbeiten mit "Impellern", also mit Propellern, die sich in einem Gehäuse befinden. Solche Systeme sorgen für einen kontinuierlichen Blutfluss und haben sich als effektiver erwiesen als jene, die einen pulsatilen Blutfluss erzeugen.

Ärzte Woche: Wie lange können Patienten mit diesen Geräten leben?

Falkenhagen: Die LVAD haben eine externe Energiequelle und können monate- oder auch jahrelang verwendet werden. Probleme resultieren häufig daraus, dass durch künstliche Materialien Thromben entstehen können.

Ärzte Woche: Ihr Spezialgebiet sind Blutreinigungssysteme. Gibt es hier aktuelle Fortschritte?

Falkenhagen: An der Donau-Universität Krems haben wir das "Prometheus-System" entwickelt. Das ist eine von zwei konventionell produzierten Techniken weltweit, die bei akutem Leberversagen ein ein- bis zweiwöchiges Überleben bis zu einer Transplantation ermöglichen. Diese Technik funktioniert mithilfe von Membranen, die vorwiegend für Albumin durchlässig sind. Dieses Protein, das als Trägerstoff für die Giftstoffe dient, wird dann gereinigt und wieder zurückgeleitet.

Ärzte Woche: Wie funktioniert denn diese kurzfristige Ersatzleber?

Falkenhagen: Derzeit erfolgt die Reinigungsprozedur in zwei 350-Milliliter-Kapseln, die mit mehreren Adsorberharzen gefüllt sind. Die Harze haben eine Größe von durchschnittlich 400 bis 500 Mikrometern.

Ärzte Woche: Sie sagten "derzeit" - heißt das, es wird bald etwas Neues geben?

Falkenhagen: Aktuell arbeiten wir an einem System, das wesentlich effizienter sein wird. Es verwendet für die Entgiftung Mikroadsorber-Harze, die nur ein bis zehn Mikrometer klein sind und daher nicht in einer Säule, sondern in einer Suspension gepackt sind. Mit dieser Technik werden wir nicht nur Albumin-gebundene Substanzen aus dem Blut entfernen können, sondern auch verschiedene Entzündungsmediatoren wie den Tumornekrose-Faktor TNFaa, aber auch andere Zytokine, die alle an der Genese des Leberversagens beteiligt sind.

Ärzte Woche: Wann steht diese Technik für die Praxis zur Verfügung?

Falkenhagen: Wir rechnen damit, dass dieses System in etwa drei bis vier Jahren routinemäßig verwendbar sein wird. Wir arbeiten derzeit auch an einer Erweiterung mithilfe biologischer Materialien, also mit Hepatozyten. Diese werden von uns in 90 Mikrometer kleine Kapseln verpackt, deren Ummantelung für das Albumin durchlässig ist. Die Behälter werden dann gemeinsam mit den Mikroadsorbern dem Filtrat zugeführt, das gereinigt werden soll, und können so auch Syntheseleistungen erbringen.

Ärzte Woche: Werden wir im Jahr 2050 erfolgreich alle lebenswichtigen Organe ersetzen können?

Falkenhagen: Die Funktionen des Herzens werden wir zur Mitte des 21. Jahrhunderts sicher auch längerfristig durch künstliche Systeme aufrecht erhalten. Bei künstlichen Nieren ist vorstellbar, dass es sie vielleicht auch in implantierbarer Form geben wird. Auch das Pankreas wird voraussichtlich durch die Entwicklung geeigneter Glukose-Sensoren ersetzt werden können.

Ärzte Woche: Und wie sieht es bei anderen Organen aus?

Falkenhagen: Bei der Lunge etwa ist das ganze weit schwieriger. Aber vielleicht können wir ein System entwickeln, mit dem es möglich sein sollte, die Wartezeit bis zur Transplantation besser zu überbrücken. Auch die Funktionen der Leber sind sehr komplex und werden wohl auch im Jahr 2050 nicht komplett substituiert.

Ärzte Woche: Steht am Ende der Entwicklung dann quasi ein künstlicher Mensch?

Falkenhagen: Den kompletten "künstlichen Menschen", wie er noch vor Jahren diskutiert wurde, wird es nicht geben. Insgesamt betrachtet sehe ich aber gute Chancen für den künstlichen Organersatz. Dieser Organersatz umfasst möglicherweise auch Xenotransplantationen.

Das Interview erschien bereits in der "Ärzte Woche" aus Österreich (38, 2007, 12).

Zur Person

Professor Dieter Falkenhagen leitet die Abteilung für Klinische Medizin und Biotechnologie an der Donau-Uni Krems in Österreich. Er war Präsident des vergangenen Kongresses der European Society for Artificial Organs (ESAO), der im September in Krems stattfand.

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