Nierenerkrankung

Ohne Dialyse länger leben?

Patienten mit einer Nierenstörung leben ohne Dialyse länger, berichten schwedische Ärzte. Und die besten Chancen haben Patienten mit einer neuen Niere. Muss die Dialyse-Indikation strenger gefasst werden?

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Nickerchen an der Dialyse.

Nickerchen an der Dialyse.

© Klaus Rose

STOCKHOLM. Patienten an der Dialyse haben ein höheres Risiko, früher zu sterben, als Patienten, die "nur" an einer chronischen Nierenkrankheit (CKD) im Stadium 4 oder 5 leiden, aber keine Nierenersatztherapie erhalten. Diesen Befund haben nun schwedische Nephrologen und Epidemiologen vom Karolinska-Institut, der medizinischen Universität von Stockholm, bestätigt.

Nach den Daten ihrer populationsbezogenen Kohortenstudie ist das Mortalitätsrisiko bei Patienten mit Hämodialysen am höchsten. Am niedrigsten ist es hingegen bei Patienten, denen eine neue Niere transplantiert wurde. Die Forscher erinnern deswegen daran, umsichtig mit der Entscheidung zu einem Dialysestart umzugehen.

Bekanntlich gilt als Dialyseindikation bei chronischen Nierenerkrankungen eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) von unter 15 ml/min/1,73m². Nach der KDIGO-Richtlinie von 2012 gilt für das CKD-Stadium 4 eine GFR von unter 29 und für das Stadium 5 eine GFR unter 15.

Für ihre Analyse hatten die schwedischen Ärzte die Daten von insgesamt 6162 Nierenpatienten ausgewertet, die in dem klinischen Qualitätregister von Stockholm erfasst sind. Auswerten konnten sie Daten aus den Jahren 1999 bis 2010.

Für ihre Populationskontrolle bezogen die Forscher außerdem Daten aus dem nationalen Sterberegister. Adjustiert wurden die Daten über Alter, Geschlecht, Diabetesstatus, Bildungslevel und Erfassungsjahr (BMJ Open 2014; 4: e004251).

Erwartungsgemäß hatten alle Nierenpatienten verglichen mit der Gesamtbevölkerung ein höheres Risiko für einen frühen Tod. Doch die Unterschiede waren teils enorm: Am höchsten war die Hazard Ratio (HR) mit 12,6 für Hämodialyse-Patienten, am niedrigsten war sie bei CKD-Patienten des Stadiums 4 oder 5 (HR 3,6). Dazwischen lagen Patienten mit einem Nierentransplantat (HR 5,6) und mit der Peritonealdialyse (HR 9,2).

Nachdem den schwedischen Autoren nun die geringste Mortalität bei CKD-Patienten aufgefallen war, setzten sie diese mit den anderen Nierenpatienten aus den Registerdaten in einen direkten Vergleich.

Auch hier schnitten Nierentransplantationspatienten am besten ab: Sie hatten nur ein halb so hohes Sterblichkeitsrisiko wie die CKD-Patienten, die HR lag bei 0,5. Mit Patienten an der Hämodialyse war das Risiko um 2,6 erhöht, bei der Peritonealdialyse immerhin noch um 1,7.

Wenngleich die Stockholmer Forscher ihre Auswertung dadurch gestärkt sehen, dass sie alle CKD-Patienten innerhalb des Registers bis zum Lebensende begleiten konnten und das Follow-up anhand der staatlichen Personenkennziffer komplett war, gibt es jedoch auch Einschränkungen.

So vermuten die Forscher, dass möglicherweise nicht alle CKD-Patienten in die Analyse einbezogen werden konnten. Schließlich kann eine Unterdiagnostik nicht ausgeschlossen werden. Denkbar ist auch, dass manche CKD-Patienten längst gestorben sind, bevor ein Nephrologe die Chance gehabt hätte, die Nierenerkrankung zu diagnostizieren.

Schon aus diesem Grund könnten die vorliegenden Daten nur auf Patienten projiziert werden, die sich bereits in nephrologischer Behandlung befinden, meinen die Schweden.

Ein weiteres Problem bei der Auswertung könnte der typische Krankheitsverlauf bei CKD-Patienten sein: Erst kommen sie zunehmend in höhere Stadien, schließlich erhalten sie eine Dialyse und in manchen Fällen später sogar eine neue Niere. Für letztere Betroffene würde das bedeuten, dass sie zunächst eine höhergradige CKD überlebt haben müssen. Auch das kann letztlich für eine Untererfassung der tatsächlichen CKD-Mortalität sorgen.

Auch geben die schwedischen Autoren zu bedenken, dass die Unterschiede zwischen Hämodialyse (HD) und Peritonealdialyse (PD) mit gewisser Vorsicht zu betrachten sind. Denn vor allem ältere Patienten und solche mit höhere Krankheitslast kommen bevorzugt an die Hämodialyse, was den prognostischen Faktor zuungunsten der HD verändern könnte.

Und bekanntlich erhält nur ein geringer Teil der Dialysepatienten eine PD. Sie werden ganz genau von den Nephrologen ausgesucht, um etwa Infektionsrisiken oder schlechte Compliance ausschließen zu können. Auch das kann sich prognostisch günstig auf die PD-Population auswirken.

In der Gesamtschau glauben die schwedischen Forscher aber zumindest ein weiteres Indiz dafür gefunden zu haben, dass ein früher Dialysestart kritisch hinterfragt werden sollte. Erst vor wenigen Tagen hatten kanadische Forscher gezeigt, dass eine späte Dialyse zumindest keine negativen Auswirkungen haben muss.

Die schwdischen Ärzte kritiseren denn auch auch, dass in den vergangenen Jahren der Anteil der Patienten an der Dialyse zugenommen hat, deren GFR über 15 lag. Dieser Trend sei auch für Europa nachweisbar, schreiben sie. Künftig sollten vor dem Start einer Nierenersatztherapie die Risiken kritisch beleuchtet werden, fordern sie.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) hat erst vor gut einem Jahr klargestellt, dass für die Dialyse als typisches Kriterium eine GFR von unter 15 ml/min/1,73m² gilt. (nös)

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