Koalition verliert sich bei Pflege in Kakofonie

Die Pflege wird teurer, die Rücklagen wachsen langsamer. Mehr Pflegeleistungen, der Aufbau einer Sicherheitsreserve und ein Inflationsausgleich für die Löhne der Pflegekräfte müssen von den Beitragszahlern gestemmt werden, sagt der Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU).

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BERLIN (sun/af). Noch sind die Kassen der Pflegeversicherung gut gefüllt. Allerdings sind trotz der guten Konjunktur die Überschüsse von 2009 auf 2010 um rund 600 Millionen Euro auf rund 340 Millionen Euro gesunken. Derzeit liegen die Reserven bei etwa 4,8 Milliarden Euro.

Dass dieses Geld in einer alternden Gesellschaft, in der immer mehr Menschen pflegebedürftig werden, nicht weit reicht, treibt die Politik seit geraumer Zeit um. Jetzt hat einer ausgesprochen, was auf die Beitragszahler zukommen könnte.

Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) rechnet mit bis zu 0,5 Prozentpunkten mehr für die gesetzlich Versicherten. Bislang gehen 1,95 Prozent ihres Bruttos in die Pflegeversicherung.

Die rund fünf Milliarden Euro an jährlichen Mehreinnahmen für die Pflegeversicherung, die die von Singhammer vorgeschlagene Beitragssatzerhöhung bedeuten, sind mehr als das teuerste Szenario einer noch von Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) eingesetzten Kommission.

Vier Milliarden Euro mehr benötigte die Pflegeversicherung laut dem 2009 übergebenen "Bericht des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs", wenn viele Vorschläge des Beirats umgesetzt würden.

Am anderen Ende steht ein Szenario mit nur 0,45 Milliarden Euro Mehrkosten im Vergleich zu heute. 2009 nahm die Versicherung rund 21 Milliarden Euro ein. 19,3 Milliarden Euro gab sie für die Pflege aus.

Singhammers Rechnung enthält drei Positionen. Zusätzlich zur Ausweitung des Pflegebegriffs fordert er die gerechte Entlohnung der Pflegekräfte. "Deren Gehälter müssen an die Inflationsrate angepasst werden", sagte Singhammer der "Ärzte Zeitung".

Auch der geplante Kapitalstock ist in Singhammers Rechnung enthalten. Darin soll Geld gesammelt werden für die Zeit, in der die Generation der Babyboomer in Jahre kommt.

Dass es keine Zusatzversicherung bei der Privaten Krankenversicherung geben wird, darüber scheint von gelegentlichen Störfeuern aus den Reihen der FDP in der Koalition weitgehend Einigkeit zu herrschen. Auch Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler ist davon abgerückt.

Damit wird der Aufbau einer Kapitalreserve in der gesetzlichen Pflegeversicherung wahrscheinlicher. "Beim Kapitalstock gibt es noch keine Festlegung wie dieser organisiert werden soll.

Es gibt aber die Verabredung in der Koalition, dass man ihn machen wird. Erstmals wird in einem sozialen Sicherungssystem etwas auf die hohe Kante gelegt", sagte Singhammer.

Wo ein solcher Kapitalstock verwaltet werden könnte, sei offen, sagte Ann Marini, Sprecherin des GKV-Spitzenverbands. Ungelöst sind rechtliche Fragen, die der Aufbau eines aus Beiträgen der Versicherten gespeisten Kapitalstocks in einem umlagefinanzierten System aufwirft.

Das Geld müsse vor den Begehrlichkeiten des Staates sicher sein, forderte der Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang.

Fünf Bedarfsgrade anstelle von drei Pflegestufen

In den aktuell geltenden drei Pflegestufen bemisst sich die Leistung der Pflegeversicherung nach der körperlichen Beeinträchtigung eines Menschen und der Zahl der Minuten, die die "Verrichtungen" in Anspruch nehmen. Nur sehr unvollkommen erfasst werden von diesem Pflegebegriff Demenzkranke. Geplant ist, nicht mehr die erforderliche Pflegezeit, sondern den Grad der Selbständigkeit darüber entscheiden zu lassen, in welchen von fünf neu zu schaffenden Bedarfsgrad ein Pflegebedürftiger eingruppiert wird. Anders als heute würden dafür auch kognitive und kommunikative Fähigkeiten eines Menschen erfasst.

Lesen Sie dazu auch: Unionspolitiker prescht bei Pflegefinanzierung vor

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