Hintergrund

Klinikfinanzen: Schwarz-gelbes Zuckerbrot mit Peitsche

Eine Milliarde Euro Mehrbelastungen allein durch die neuen Tarifverträge - die Kliniken stöhnen. Sie verlangen von der Politik eine Finanzspritze. Die soll nun kommen, jedenfalls anteilig. Doch der kleine Erfolg könnte sich als Pyrrhussieg erweisen.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:

Jetzt mischen die Kliniken im Wahlkampf mit: Drei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen warnen sie vor dem "Jobkiller Gesundheitspolitik".

Am Mittwoch plant die Krankenhausgesellschaft im Land eine Großkundgebung in Düsseldorf. Bundesweit stünden 20.000 Jobs auf dem Spiel, wenn die Politik nicht endlich finanziell aushelfe.

Gut eine Milliarde Euro fordert die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), vor allem wegen der jüngsten Tarifsteigerungen. Auch der Sparbeitrag der Kliniken muss weg, fordert die DKG.

So weit wird die schwarz-gelbe Koalition freilich nicht gehen. Dennoch dürfen Deutschlands Kliniken auf eine Millionenspritze hoffen. Der Ausgleich für die Tarifsteigerung wird wohl noch in diesem Jahr kommen.

Die Rede ist von 350 Millionen Euro. Einen entsprechenden Beschluss wollen die Gesundheitspolitiker von CDU und CSU am Dienstag fassen.

Auch Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hatte am Wochenende angekündigt, dass er in dieser Sache "etwas tun" werde. Derzeit berate man in der Koalition "über geeignete Lösungen auch schon für 2012", sagte er dem "Flensburger Tagblatt".

Abschläge für Häuser ohne Tarifvertrag

In einem Positionspapier der Unions-Arbeitsgruppe Gesundheit heißt es, dass die "hohen Tarifabschlüsse die Krankenhäuser ... überfordern". Anteilig soll dies nun bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwertes berücksichtigt werden.

Für dieses Jahr gilt bereits eine Budgeterhöhung von 1,48 Prozent. Die soll nun steigen, und zwar über einen Rückgriff auf eine Regelung aus dem Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG) von Anfang 2009.

Damals wurde der Basisfallwert um ein Drittel der Differenz zwischen den Tarifsteigerungen und dem Anstieg der Grundlohnsumme der gesetzlich Versicherten erhöht.

Dies biete sich auch jetzt an, so die Gesundheitspolitiker von CDU und CSU. Doch es gibt eine Ausnahme: "Krankenhäuser, die nicht tarifkonform zahlen", müssen mit Abschlägen bei ihren Budgets rechnen.

Ende März erst hatten sich die kommunalen Klinikarbeitgeber mit den Gewerkschaften auf eine Tariferhöhung von 6,3 Prozent für die rund zwei Millionen Beschäftigten geeinigt.

Für die rund 50.000 Ärzte wurde bereits im Januar eine Tariferhöhung um 2,9 Prozent und eine Einmalzahlung von 440 Euro vereinbart.

Im November hatten die 20.000 Ärzte an den Unikliniken 3,6 Prozent mehr Gehalt und eine Einmalzahlung von 350 Euro ausgehandelt. Die DKG erwartet dadurch Mehrausgaben von rund einer Milliarde Euro.

Verhandlung auf Ebene der Selbstverwaltung

Die Unionspolitiker gehen "angesichts des Fachkräftemangels" sogar davon aus, dass die Personalkosten auch künftig steigen werden. Daher wollen sie den im KHRG vorgesehenen Orientierungswert zügig einführen.

Er soll die bisherige Bindung der Landesbasisfallwerte an die Entwicklung der Grundlohnsumme ablösen. Künftig soll vor allem die Krankenhausstruktur für die Berechnung maßgeblich sein.

Im vergangenen Jahr hatte das Statistische Bundesamt die nötigen Rechenwerte dafür vorgelegt, doch das Ministerium hat die Werte bislang nicht - wie vorgesehen - in eine Rechtsverordnung für den sogenannten Veränderungswert umgesetzt.

Die Unionspolitiker möchten nun erreichen, dass dies bis 2013 geschieht - letztlich auch, um künftige Tariflasten besser abzufedern. Außerdem denken sie darüber nach, die bislang gesetzlich vorgesehene Verordnungslösung abzuschaffen und die Verhandlungen auf die Selbstverwaltung zu übertragen.

Dennoch lassen die Kostensteigerungen bei den Klinikausgaben auch der Politik keine Ruhe. Spätestens seit 2009 schlagen die Zuwächse bei den Klinikausgaben der GKV heftig ins Kontor - damals vor allem wegen der Anpassung durch die Tarifsteigerungen.

Tatsächlich machen die Klinikausgaben mit zuletzt 2011 knapp 61 Milliarden Euro ein Drittel der GKV-Ausgaben aus. Seit 2005 sind sie um satte zwölf Milliarden Euro angestiegen.

Parallel ist die Zahl der Krankenhäuser gesunken, die Bettenzahl und die Zahl der Pflegetage sind weitgehend gleich geblieben - lediglich die Fallzahl wächst seit 2005 kontinuierlich.

Lanz moniert verkrustete Strukturen

Das ruft erwartungsgemäß die Krankenkassen auf den Plan. Uwe Deh, Vorstand beim AOK-Bundesverband, forderte in der "Welt", "von zusätzlichen Finanzspritzen abzusehen".

Die Kliniken bekämen jedes Jahr zwei Milliarden Euro mehr, "ohne dass die Versicherten dadurch einen spürbar besseren Gegenwert erhalten". Die Krankenhäuser würden die Notsituation nur "herbeireden", die Politik dürfe darauf nicht eingehen, so Deh.

Auch GKV-Verbandssprecher Florian Lanz warnte davor, "verkrustete Strukturen" zu zementieren. Auch diese Botschaft hat die Politik wohl verstanden.

Der FDP-Gesundheitspolitiker Lars Lindemann forderte am Wochenende einen "geregelten Marktaustritt von Krankenhäusern mit schlechter Qualität".

Ähnliches hatte im vergangenen Jahr der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Professor Christoph Schmidt, vorgeschlagen: eine Abwrackprämie für Kliniken.

Damals kam das RWI in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass in den kommenden Jahren jede zehnte der rund 2000 Kliniken schließen muss, da sie ein hohes Insolvenzrisiko haben. Besonders anfällig sind vor allem Kliniken in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft.

Schmidt damals: "Lieber Geld in die Hand nehmen, um eine bessere Struktur zu schaffen - auch durch Zusammenlegung und Schließung - als etwas aufrecht zu erhalten, was nicht mehr funktionieren kann."

Bezahlung nach Qualität

Auch FDP-Politiker Lindemann plädierte nun für ein solches Vorgehen: "Eine Bezahlung nur für Anwesenheit im System ist nicht zukunftsweisend", sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

Er plädierte außerdem für eine differenzierte Bezahlung der Kliniken. Künftig müssten Häuser finanzielle Anreize für Qualitätssteigerungen haben.

Damit rennt Lindemann offene Türen bei den Krankenkassen, etwa der AOK ein, die seit Jahren Selektivverträge mit Kliniken fordert.

Auch die Unions-Gesundheitspolitiker wollen nicht ausschließlich zur Gießkanne greifen. Sie wollen vor allem das Problem der Mengenausweitung in den Griff bekommen.

Ihr Argument: Die Ausgabenzuwächse der vergangenen Jahre seien vor allem auf die "jährlich steigenden Mehrleistungen zurückzuführen". Mit Morbidität können dies nur begrenzt erklärt werden, vielmehr gebe es "Fehlanreize".

Schon heute müssen die Krankenhäuser im Rahmen des Mehrerlösausgleich Abschläge in Kauf nehmen, die zwischen der einzelnen Klinik und den Kassen ausgehandelt werden.

Nach den Vorstellungen der Unionspolitiker sollen Mehrleistungsabschläge künftig zwei Jahre lang gelten - quasi als Präventivmittel.

Ausnahme Sonderfälle

Die Union war jüngst zudem mit einem Antrag vorgeprescht, wonach der Medizinische Dienst der Krankenkassen künftig Kliniken verstärkt ins Visier nehmen soll, die mit fehlerhaften Abrechnungen aufgefallen sind.

Ein Zuckerbrot bieten die Unionspolitiker den Kliniken allerdings doch noch an: Auch als Lehre aus der EHEC-Krise wollen sie Sonderleistungen der Kliniken von der Mengenbegrenzung ausnehmen.

Speziell denken sie an Brandverletzungen, die Transplantationsmedizin und Krankenhausbehandlungen im Rahmen von Seuchen.

Die EHEC-Epidemie hatte alleine bei den Krankenhäusern in Schleswig-Holstein Zusatzkosten von rund zwei Millionen Euro produziert. Die Kliniken konnten sich schließlich auf einen Ausgleich mit den Kassen einigen.

Doch in Niedersachen hatten die Krankenhäuser noch Anfang des Jahres vergeblich bei den Kassen um eine Erstattung gekämpft.

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