Schmerzen

Kinder im Abseits

Eine neue Studie des Deutschen Kinderschmerzzentrums (DKSZ) in Datteln wirft kein gutes Licht auf die Versorgung junger Schmerzpatienten in Deutschland.

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Kopfschmerzen: Bei der Versorgung happert es noch.

Kopfschmerzen: Bei der Versorgung happert es noch.

© Nikolai Sorokin / fotolia.com

DATTELN (eb). Bis zu 28 Ärzte kontaktieren Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen, bevor sie eine spezialisierte Behandlung erhalten.

Und: Viele der jugendlichen Patienten nehmen Schmerzmittel ein, obwohl diese aus ärztlicher Sicht nicht zu empfehlen sind. Das hat eine neue Studie des Deutschen Kinderschmerzzentrums (DKSZ) in Datteln ergeben (BMC Pediatrics 2012; 12: 54).

Chronische Schmerzen, also Schmerzen, die über einen Zeitraum von drei Monaten anhalten oder in diesem Zeitraum wiederkehrend auftreten, führen bei einem Teil der Betroffenen zu hohen Beeinträchtigungen im Alltag, erinnert die Universität Witten/Herdecke.

Zum Beispiel steigen die Fehlzeiten in der Schule oder die Kinder und Jugendlichen haben Schwierigkeiten, Kontakte zu Freunden aufrecht zu erhalten und Hobbys zu pflegen. Betroffen seien in Deutschland geschätzt 350.000 Kinder, heißt es in der Mitteilung der Uni.

Daten von 2249 Betroffenen analysiert

Der Weg zu einer spezialisierten Behandlung ist für viele der jungen Schmerzpatienten weit, wie nun eine Studie mit 2249 Kindern und Jugendlichen belegt.

Das Deutsche Kinderschmerzzentrum wertete die Daten aller Patienten aus den Jahren 2005 bis 2010 aus.

Den Studienergebnissen zufolge hätten die Patienten im Durchschnitt bereits mit drei unterschiedlichen Ärzten Kontakt gehabt, ehe sie sich im DKSZ vorstellten, heißt es in der Mitteilung der Universität.

Mit zunehmendem Alter der Patienten sei zudem die Zeitdauer zwischen Schmerzbeginn und dem Aufsuchen der Spezialisten kontinuierlich gestiegen. Bei 15-Jährigen vergingen im Durchschnitt etwa vier Jahre bis zum Besuch im DKSZ.

Massive Einbußen der Lebensqualität

"Je länger es dauert, bis chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen effektiv behandelt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Entwicklung der Patienten nachhaltig gestört wird und sie massive Einbußen der Lebensqualität hinnehmen müssen", wird Professor Boris Zernikow in der Mitteilung der Uni zitiert.

Zernikow ist Chefarzt des Deutschen Kinderschmerzzentrums und Inhaber des Lehrstuhls für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin der Universität Witten/Herdecke.

"Es gibt wirksame Methoden, diese Schmerzen zu behandeln und den Kindern die Kontrolle zurück zu geben - aber das müssen geschulte Kinderärzte übernehmen, und zwar in einem möglichst frühen Krankheitsstadium."

Die Versorgungsstrukturen in Deutschland, so Zernikow weiter, gäben allerdings eine kurzfristige, fachmännische und wohnortnahe Versorgung junger Schmerzpatienten häufig (noch) nicht her.

Viele der überwiegend weiblichen Patienten (60 Prozent Mädchen), die sich im DKSZ vorstellten, berichten über tägliche oder dauerhafte Schmerzen (43 Prozent) und sind dadurch in ihrem Alltag stark beeinträchtigt.

Jedes vierte Kind verpasst aufgrund der Schmerzen mehr als ein Viertel des Schulunterrichtes. Außerdem sind ältere Kinder in der Regel stärker beeinträchtigt als jüngere.

Am häufigsten sind Kopfschmerzen

Die meisten Kinder hatten Kopfschmerzen (70 Prozent), gefolgt von Bauchschmerzen und Schmerzen des Bewegungsapparates.

Bei der Aufrechterhaltung der Schmerzen spielen neben den körperlichen Faktoren auch psychosoziale Begleitumstände, etwa Stress oder emotionale Belastung, eine wichtige Rolle.

Sorge bereite den Schmerzexperten aus Datteln auch ein anderes Ergebnis der Studie, heißt es in der Mitteilung der Universität Witten/Herdecke: Drei Viertel der Kinder, die sich im DKSZ vorstellten, nahmen zum Zeitpunkt der Erstvorstellung Schmerzmedikamente ein.

Die Ärzte sehen diese Entwicklung mit Skepsis: Sie empfehlen nur etwa der Hälfte dieser Kinder die Einnahme von Medikamenten, um die Schmerzen zu lindern.

"Die Fehleinnahme von Schmerzmedikamenten kann verheerende Folgen haben - zum Beispiel gibt es Schmerzformen, bei denen Medikamente die Schmerzen noch verstärken. Dieser sogenannte medikamenteninduzierte Kopfschmerz verschärft die schon vorhandene Problematik dann noch zusätzlich", so Zernikow in der Mitteilung.

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