E-Notfalldaten: Der Praxistest entscheidet

Das Notfalldaten-Management wird unter Ärzten als erste nutzenbringende Anwendung der Gesundheitskarte gehandelt. Trotzdem ging beim ersten Anlauf, der bereits 2008 unternommen wurde, einiges schief. Daraus will man gelernt haben, bekundet nicht nur die gematik. Um die Fristen im E-Health-Gesetz müssen sich die Ärzte hier wohl nicht sorgen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:

DÜSSELDORF. Beim Notfalldatensatz – oder besser dem Notfalldaten-Management (NFDM), wie es im Gesundheitskarten-Deutsch heißt, – sollte die Ärzteschaft ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, machte Dr. Christiane Groß deutlich. "Das ist ein Bereich der Gesundheitskarte, in dem wir weiter sind, als es ursprünglich vorgesehen war", sagte sie bei einer Diskussionsrunde des Zentrums für Telematik und Telemedizin (ZTG) auf der diesjährigen Medica. Groß ist eine der beiden Vorsitzenden des ärztlichen Beirats zur Begleitung des Ausbaus einer Telematik-Infrastruktur für das NRW-Gesundheitswesen. "Hier laufen Vorarbeiten bis hin zu Evaluationen, ob die Umsetzung auch tatsächlich im Praxisalltag funktioniert",berichtete sie.

Studie belegt Nutzen der Daten

Das ist auch notwendig: Den Nutzen der Anwendung sehen die meisten Ärzte. Das habe nicht zuletzt eine Studie im Jahr 2014 gezeigt, wie Dr. Christian Juhra von der Uniklinik Münster berichtete. Die Uniklinik hatte eine kleine Gruppe von 13 Hausärzten damals Notfalldatensätze für Patienten anlegen lassen. In einem zweiten Schritt sollten dann im Rettungsdienst tätige Notärzte (n = 14), Ärzte aus Krankenhausnotaufnahmen (n = 14) und Rettungsassistenten (n = 9) die Datensätze beurteilen. Dies erfolgte allerdings in verschiedenen Kombinationen anhand von fiktiven Notfallszenarien. Dadurch flossen über 300 Bewertungen in die Analyse ein. "Es ist zwar aufgefallen, dass in den meisten Datensätzen Informationen fehlten, dennoch sprachen die Notärzte den Datensätzen einen hohen Nutzen bei der Behandlung zu", so Juhra.

Der erste Anlauf für den Notfalldatensatz auf der Gesundheitskarte verlief allerdings alles andere als glücklich. Bereits 2008 sollten mit den ersten eGK-Feldtests auch die Notfalldatensätze erprobt werden. Das Ergebnis: Nicht praktikabel, fasste es Dr. Philipp Stachwitz von der gematik auf der Medica zusammen. Die multiple PIN-Eingabe durch Ärzte und Patienten, der insuffiziente Datentransfer mit den EDV-Systemen und letztlich nicht ausreichende Schulungen für die Praxisteams führten dazu, dass die Ärzte schlichtweg keine Notfalldaten anlegten.

Laut Plan ist 2018 der Starttermin

2010 wurde dann der Resetknopf gedrückt: Die Bundesärztekammer übernahm die Projektleitung für den Notfalldatensatz. Das hat dazu geführt, dass derzeit eine weitere Evaluation, das Projekt NFDM.Sprint, läuft. "Ziel ist es, herauszufinden, wie aufwändig das Anlegen der Datensätze für die Praxen ist und wo Fallstricke liegen", sagte Juhra. "Wir können daraus dann Empfehlungen ableiten, wie die Anwendung umzusetzen ist, damit die Frist aus dem E-Health-Gesetz eingehalten wird." Denn ab 2018 soll der Notfalldatensatz auf der elektronischen Gesundheitskate stehen – beziehungsweise ab dann haben die Patienten einen entsprechenden Anspruch gegenüber ihrem Arzt.

32 niedergelassene Ärzte in der Region Münster und eine Klinik beteiligen sich an NFDM-Sprint. Das Projekt läuft seit Juni, insgesamt 4000 Notfalldatensätze realer Patienten sollen dabei angelegt werden. "Wir speichern den Notfalldatensatz aber nicht auf der Gesundheitskarte", so Juhra, denn die Karten, die derzeit in Umlauf sind, können das noch nicht. "Der Patient bekommt einen Ausdruck." Das habe aber keine Auswirkungen auf den Ablauf in der Praxis beim Anlegen des Datensatzes. Juhra erwartet, dass die Ergebnisse von NFDM.Sprint im Frühjahr 2017 vorliegen, dann bliebe noch genügend Zeit, um die Praxis-EDV-Systeme und Prozesse anzupassen.

Etwas unbefriedigend ist allerdings, dass der Gesetzgeber den Medikationsplan und den Notfalldatensatz als getrennte Anwendungen betrachtet. Denn im Notfall ist es auch wichtig, die aktuelle Medikation zu kennen, um etwa Kontraindikationen bei der Notfallbehandlung auszuschließen. Derzeit müssen die Ärzte beim Notfalldatensatz wichtige Medikationsdaten erneut eingeben. "Die gematik strebt hier an, dass die Datenmodelle angeglichen werden und eine synchrone Befüllung beider Systeme möglich ist", erklärte Stachwitz. "Da sind die Primärsystem-Hersteller angesprochen, das so zu lösen, dass die Ärzte das ohne großen Aufwand befüllen können."

Sorgen bereitet Teilen der Ärzteschaft zudem, dass nach dem E-Health-Gesetz der Zugriff auf die Notfalldaten ohne Autorisierung des Patienten möglich ist und eben auch Notfallsanitäter mit ihrem Berufsausweis diesen Zugriff erhalten, so Groß. "Der Patient hat keine Chance, einen Schutz reinzubringen und hier etwas zu verdecken." Dazu muss man allerdings erklären, dass der Ärztliche Beirat sich einen umfassenden Notfalldatensatz wünscht, der Diagnosen, Medikation etc. ohne Ausnahmen abbildet. Groß: "Der Notfalldatensatz muss komplett sein, damit die Daten für den Kollegen, der zugreift, auch haftungsrechtlich sicher sind." Sie würde daher dafür plädieren, dass es zusätzlich einen Basisdatensatz gibt, auf den auch andere Berufsgruppen zugreifen können.

Und die Haftungsfrage?

"Zunächst einmal ist der Notfalldatensatz so etwas wie eine Basisdokumentation, weil es etwas Vergleichbares bisher noch nicht gibt", konterte Stachwitz. Der Notfalldatensatz habe auch einen klaren Adressaten, er betreffe die Arzt-zu-Arzt-Kommunikation. "Wenn ich den Zugriff für alle anderen Berufsgruppen aufmache, muss ich hinterfragen, wie diese die Daten mit ihrem Ausbildungshintergrund interpretieren", gestand er jedoch ein.

Fest steht: Ein Arzt, der später etwas am Notfalldatensatz ändert – also etwa eine Diagnose hinzufügt –, muss dennoch den kompletten Datensatz mit seinem Heilberufeausweis elektronisch signieren, wie Stachwitz in einer anderen Diskussionsrunde beim Medica Health IT-Forum erklärte.

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