Wehmut an Karneval ist Balsam für die Seele

KÖLN (akr). An Karneval mit Freunden oder Fremden im Arm ausgelassen Lieder zu singen - das ist nicht nur schön, sondern auch gesund. Ganz besonders gut tut es der Seele, wenn die Jecken ausgerechnet melancholische Lieder singen. Davon ist der Kölner Karnevalspsychologe Wolfgang Oelsner überzeugt. "In der Wehmut aktiv und gemeinschaftsbezogen zu bleiben ist eins der wirkungsvollsten Antidepressiva", weiß er.

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Narren bewegen sich in einem halluzinatorischen Raum, meint der Kindertherapeut. "Psychiatrisch ist die Halluzination völlig unbedenklich, solange die Jecken nach einer Karnevalsveranstaltung, spätestens am Aschermittwoch, zur Realität zurückkehren", schreibt Oelsner in seinem soeben erschienenen Buch "Fest der Sehnsüchte. Warum Menschen Karneval brauchen".

Dabei kann das Treiben der Narren im Karneval durchaus eine heilende Wirkung haben. "Beim Karneval ist es wie mit jedem guten Medikament: Es kommt auf die Dosis an, und man muß den Beipackzettel beachten", sagt der Rektor der Schule der Kölner Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche.

In der fünften Jahreszeit kann der Mensch die ganze Palette seiner Sehnsüchte erfüllen - die Sehnsucht nach Ausgelassenheit, nach Erotik, nach dem Kindsein, nach Nähe und gleichzeitig nach Freiheit. Der Karnevalist genießt den ständigen Wechsel von ambivalenten Gefühlssituationen, ist Oelsner überzeugt. Und die Narren müssen dabei keine Ablehnung fürchten: "Im Karneval wird der Mensch bedingungslos angenommen, wie er ist."

Ausgerechnet zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag stillen die Jecken offenbar auch ihre Sehnsucht nach Wehmut. Als die Tageszeitung "Kölner Stadt-Anzeiger" im vergangenen Jahr eine Kneipenumfrage zu den Lieblingsliedern der Gäste anstellte, kamen die Redakteure zu dem überraschenden Ergebnis: "Melancholisch muß es sein." In Köln etwa gehört der besinnliche Song "In uns'rem Veedel" zu den populärsten Karnevalsliedern.

"Melancholie oder sentimentale Anmutungen haben im Alltag keinen Platz, im Karneval aber schon", sagt Therapeut Oelsner. Deshalb hat das närrische Treiben geradezu einen präventiven Charakter. "Im Karneval besteht die Chance, etwas aus der Verdrängung zu holen", erklärt er.

Doch wer ausgiebig feiert, bewegt sich auf einem schmalen Grat, warnt Oelsner. Betrunkene Narren oder Randalierer haben den Beipackzettel nicht gut genug studiert. "Karneval ist ein Fest, das Anleitung braucht", sagt er. "Karneval ist zwar eine verkehrte Welt, aber keine regellose Welt."

Nach Oelsners Beobachtungen sind viele niedergelassene Ärzte begeisterte Karnevalisten, nicht nur beim legendären Kölner Medizinerball. "Etliche Ärzte haben Funktionen in den Karnevalsgesellschaften", berichtet er. Auch in der Kölner Ehren- und Prinzengarde sind viele Mediziner vertreten. Oelsner vermutet, daß auch sie im Karneval eine Sehnsucht stillen: "Vielleicht suchen Ärzte hier die Gemeinschaft, weil sie in der Praxis Einzelkämpfer sind."

Nur eine Berufsgruppe ist offenbar selbst in Köln karnevalsresistent: Oelsners eigene, die Psychotherapeuten. "Die wenigen Therapeuten, die etwas mit Karneval anfangen können, geben das nicht oder nur verschämt zu", sagt Oelsner, der 30 Jahre mit einer Band im Kölner Karneval Musik gemacht hat. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Wolfgang Oelsner: Fest der Sehnsüchte. Warum Menschen den Karneval brauchen - Psychologie, Kultur und Unkultur des Narrenfestes. Marzellen-Verlag Köln. ISBN 3-9806384-6-4. 19,95 Euro

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