"Kunst und Tabu" - von Todsünden zu Tabubrüchen

Von Klaus Brath Veröffentlicht:

Es gibt Dinge, die aus religiösen, moralischen oder politischen Gründen nicht ausgesprochen oder getan werden dürfen - und die dennoch fast allgegenwärtig sind. Sie nennt man seit Sir James Cook tabu. Der britische Entdecker brachte den Begriff 1777 von einer Südsee-Tour mit. Er fand schnell Eingang in Sprache und ist seitdem nicht mehr wegzudenken - man denke nur an Tabubereiche wie Kannibalismus oder an die Debatten um Political Correctness.

"Tabus haben Konjunktur", meint denn auch Dr. Hartmut Kraft. Der Kölner Nervenarzt und Psychotherapeut hat sich mit den "Meidungsgeboten, bei deren Übertretung Ausschluß aus der Gemeinschaft droht", auseinandersetzt. Als Psychoanalytiker ist er mit den Auswirkungen von Phänomenen wie etwa dem Inzest-Tabu psychologisch vertraut.

Buch und Ausstellung zu den Gesetzen des Verbotenen

Als Autor und Kunstsammler in den Grenzbereichen zwischen Medizin, Psychoanalyse, Kunst und Ethnologie kennt Kraft zudem die Literatur und Ikonographie zum Thema - günstige Voraussetzungen, um die ungeschriebenen Gesetze des Verbotenen aus zwei Perspektiven zu beleuchten. Zum einen bietet Krafts Buch "Tabu. Magie und soziale Wirklichkeit" (Walter-Verlag, Düsseldorf 2004) einen Überblick über Herkunft, Erscheinungsformen und Funktionen von Tabus. Zum anderen präsentiert eine von ihm konzipierte Ausstellung im Museum der Stadt Ratingen entsprechende Kunstwerke.

Die Ausstellung enthält Skulpturen, Fotos, Gemälde und Grafiken aus der Sammlung Krafts und seiner Ehefrau Dr. Maria Kraft, die ebenfalls in Köln als Psychotherapeutin und Allgemeinärztin praktiziert. Gezeigt werden Bild- und Textdokumente der letzten 500 Jahre von der Weltchronik Hermann Schedels (1493) bis hin zu zeitgenössischer Kunst wie etwa der Rauminstallation "In vitro veritas" von Harald Fuchs, die auf Ängste und Probleme anspielt, die das Thema Genmanipulation aufwirft.

Die Kunst spiegelt grundlegende Mechanismen der Verbotsregeln. So liegen Tabus oft unbewußte Ambivalenzkonflikte zugrunde, wie Sigmund Freud in seiner Studie "Totem und Tabu" ausführte. Genauso eignen sich die in der Ausstellung dokumentierten Bildbeispiele von der Versuchung des Heiligen Antonius in der Wüste zur Illustrierung des Freudschen Theorems von der "Wiederkehr des Verdrängten." Tabus sind zeit- und gesellschaftsabhängig. Dies zeigt etwa die Debatte um die Sterbehilfe-Gesetze in Belgien und den Niederlanden, die dort freizügiger geführt wird als in Deutschland.

Daß Tabus Identität sichern, Tabubrüche hingegen zur Entwicklung beitragen können, ist eine weitere Erkenntnis der Tabu-Forschung. Entsprechend nutzen mehrere Künstler Materialien wie Nahrungsmittel oder Körperflüssigkeiten als Mittel zur Selbsterfahrung der extremen Art. So experimentiert der Kölner Performance-Künstler Peter Gilles seit Jahren mit Abdrucken seines Körpers, den er zuvor mit dem eigenen Blut bestreicht. Die Ausstellung zeigt mehrere Aktionsrelikte, die durch Gilles' Verfahren der "Eigenblut-Autoanthropometrie" entstanden sind, etwa die Bodenarbeit "Lá-Bas".

Tabus befinden sich in einem steten Wandlungsprozeß. Auch diese These Hartmut Krafts dokumentiert die kontrastreiche Ausstellung. So erfährt der Besucher, wie drastisch etwa "Negerküsse" und "Mohrenköpfe" in wenigen Jahrzehnten als Begriffe aus unserer Sprache verschwunden sind.

"Betreten der Ausstellung auf eigene Verantwortung: Kunst und Tabu." Bis 25. April im Museum der Stadt Ratingen, Peter-Brüning-Platz 1/Grabenstraße, 40878 Ratingen. Tel.: 02102/550-4181 und -4180. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr. Weitere Stationen: Berliner Medizinhistorisches Museum in der Charité: 27. Juni bis Mitte September 2004; Haus Oranienstraße des Siegerlandmuseums, Siegen: 10. Oktober 2004 bis Mitte Januar 2005.

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