Kinder der Attentäter in Sippenhaft genommen

BAD SACHSA (pid). Das mißglückte Attentat vom 20. Juli 1944 hatte nicht nur für den Kreis der Verschwörer dramatische Folgen. Die Nationalsozialisten übten auch an ihren Familienangehörigen Rache und nahmen sie in sogenannte Sippenhaft. Dabei spielte eine später als Kinderkrankenhaus genutzte Einrichtung eine besondere Rolle: Während die Ehefrauen und ältesten Kinder der Männer des 20. Juli in Strafanstalten und Konzentrationslager kamen, internierte die Gestapo die jüngeren Kinder in einem Kindererholungsheim am Rande von Bad Sachsa.

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Für insgesamt 46 Kinder wurden die im Schwarzwaldstil gebauten idyllischen Häuschen zum Gefängnis. Monatelang lebten sie dort unter strenger Bewachung abgeschottet von der Außenwelt. Die jüngste Gefangene, Dagmar Hansen, war gerade erst zehn Tage alt, als sie nach Bad Sachsa gebracht wurde. Der älteste war der 15jährige Wilhelm Graf von Schwerin.

Mit der streng geheim gehaltenen Internierung verfolgten die Nationalsozialisten ein perfides Ziel: Die Kinder von Stauffenberg und den übrigen Verschwörern, die zum Teil gar nichts von dem Attentat und der Beteiligung ihrer Väter wußten, sollten ihrer Identität beraubt werden. Sie mußten deshalb alle persönlichen Dinge abgeben. Um die Erinnerung an ihre Eltern auszulöschen, erhielten die Kinder bei ihrer Ankunft in dem von der Gestapo überwachten Heim neue Namen. Die Stauffenberg-Kinder mußten beispielsweise den Namen Meister tragen.

Nach einigen Monaten durften einige Kinder dann doch zu ihren Familien zurückkehren. Ostern 1945 sollten die noch gebliebenen 18 Kinder ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert werden. Ein Lkw der Wehrmacht sollte sie zum Bahnhof nach Nordhausen bringen. Eine Verspätung rettete den Kindern das Leben: Kurz vor der Ankunft in Nordhausen gerieten sie in einen Bombenhagel, bei dem der Bahnhof völlig zerstört wurde. Die Kinder wurden deshalb zurück nach Bad Sachsa gebracht.

Im April 1945 zogen US-Soldaten in Bad Sachsa ein. Der von ihnen eingesetzte Bürgermeister Willy Müller, der schon einige Zeit vorher von den internierten Kindern und deren Herkunft erfahren hatte, stattete umgehend dem Heim einen Besuch ab. Er versprach den Kindern, sich um eine möglichst baldige Rückführung zu ihren Familien zu bemühen und sagte ihnen: "Jetzt heißt ihr wieder so wie früher, ihr braucht Euch Eurer Namen und Väter nicht zu schämen, denn sie waren Helden!" Anfang Juni 1945 verließen die letzten Kinder das Heim. Später wurde die Anlage mehrere Jahrzehnte lang als Kinderkrankenhaus genutzt. Heute befindet sich dort ein Campingplatz.

 

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