"Feinster Château Lafitte" - auf ärztliche Anordnung

Von Ronald D. Gerste Veröffentlicht:

Vor 200 Jahren, am 21. Dezember 1804, wurde in London Benjamin Disraeli geboren, der als einer der herausragenden britischen Staatsmänner des 19. Jahrhunderts gilt und, zusammen mit seiner Monarchin, Queen Victoria, über ein britisches Empire auf der Höhe seiner Macht gebot. Bei seinem Aufstieg in das Amt des Premierministers mußte Disraeli nicht nur Vorurteile, sondern auch einige gesundheitliche Krisen überwinden.

Das geschliffene Wort, dessen er sich später in vielen Debatten im House of Commons bediente, war Benjamin Disraeli in die Wiege gelegt worden. Sein Vater Isaac, Sohn eines jüdisch-italienischen Einwanderers, war ein Schriftsteller und unermüdlicher Sammler von Büchern, so daß Disraeli später sagen konnte: "Ich kam in einer Bibliothek zur Welt."

Mit 22 Jahren veröffentlichte Disraeli "Vivien Grey", seinen ersten Roman. Wie so manch anderer Autor erlitt er eine Nervenkrise. Der hinzugezogene Arzt diagnostizierte eine "chronische Entzündung der Membranen des Gehirns", doch dürfte es eher ein psychosomatisches Leiden denn eine Meningitis gewesen sein. Er litt unter bohrenden Kopfschmerzen und war oft kaum in der Lage, das Bett zu verlassen - Details, die auch an eine Migräne denken lassen.

Entzündlich war indes das nächste Kapitel in seiner Epikrise. Mit einem Freund unternahm er eine "Grand Tour" über den Kontinent und in den Nahen Osten. Disraeli, zeitlebens ein Mann mit beträchtlicher Ausstrahlung auf und Interesse am anderen Geschlecht, hat in Ägypten wahrscheinlich den Freuden orientalischer Bordelle gefrönt und mußte in seiner Korrespondenz etwas kleinlaut zugeben, daß Venus schließlich von "Mercury" abgelöst worden sei, womit weniger der Götterbote als vielmehr das damals zur Behandlung venerischer Leiden benutzte Quecksilber gemeint war.

Nach vier vergeblichen Anläufen wurde Disraeli 1837 zum ersten Mal in das House of Commons gewählt, dem er fast vierzig Jahre angehören sollte. 1868 wurde er für wenige Monate Premierminister, 1874 schließlich siegte seine Partei, die Tories (Konservative), bei den Wahlen deutlich, und Queen Victoria berief ihm zum zweiten Mal zu ihrem Regierungschef.

Diese Amtszeit, in der Disraeli sie zur Kaiserin von Indien ausrufen ließ und durch geschickte diplomatische Manöver Britanniens Stellung als führende See- und Kolonialmacht ausbaute, währte sechs Jahre. Doch immer wieder warfen ihn seine beiden chronischen Leiden nieder: Gicht und Asthma.

Queen Victoria, die den vor Aphorismen sprühenden Politiker außerordentlich schätze, schickte ihren Leibarzt Sir William Jenner und erschien entgegen allen protokollarischen Zwängen an seinem Krankenbett. "Das Asthma", so der Premier, "zerstört meine Nächte und läßt mich als Konsequenz tagsüber völlig zerschlagen zurück."

Dr. Joseph Kidd, einem Arzt mit homöopathischen Neigungen, gelang zumindest eine Stabilisierung seines illustren Patienten. Er stellte die Ernährung Disraelis um, riet zu einem allenfalls leichten Dinner ohne den anschließenden Genuß von den in England so beliebten "pastries" (kleinen Kuchenstückchen) und "pudding", welcher auf der Insel noch ein wenig kalorienreicher zu sein pflegt als bei uns Kontinentaleuropäern.

Den positivsten Effekt vermeinte der Patient zu spüren, als Kidd den am "dinner table" üblichen Portwein verbot und "den feinsten Château Lafitte" geradezu verordnete. Gegen die rezidivierende Bronchitis verschrieb Kidd ein arsenhaltiges Medikament, vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluß.

Disraeli war im Sommer 1878, immerhin im 74. Jahr stehend, fit genug, um sich nach Berlin zu jenem großen Kongreß zu begeben, auf dem der Konflikt auf dem Balkan beigelegt wurde. Mit Reichskanzler Bismarck verstand er sich trefflich. Leider legte dieser, ein Freund massiver Nahrungsaufnahme, großen Wert auf schier endlose Staatsbankette während dieses Gipfeltreffens der europäischen Großmächte - nach wenigen Tagen bereits mußte Dr. Kidd nach Berlin geholt werden.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt 1880 als Folge einer Wahlniederlage verschlechterte sich Disraelis Gesundheitszustand rapide, wahrscheinlich hatte sich sich zu Gicht und Asthma noch eine Glomerulonephritis gesellt.

Er spürte im April 1881, daß es zu Ende ging, hatte jedoch noch genug Humor, den Besuch der Königin, die seit fast zwanzig Jahren auf das Tiefste um ihren früh gestorbenen Gatten Albert von Sachsen-Coburg-Gotha trauerte, zu verhindern: "Nein, lieber nicht. Sie würde mich nur bitten, eine message an Albert mit auf die Reise zu nehmen."

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