Göttinger Anthropologe zieht 250 Mumien einen Zahn

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Von Heidi Niemann

Normalerweise ist das Ziehen eines Zahnes eine Arbeit für den Zahnarzt. Doch auch der Göttinger Anthropologe und Archäologe Lars Fehren-Schmitz versteht sich auf das Zahnziehen, allerdings nicht bei lebenden Personen: In den nächsten Wochen will der 28jährige Wissenschaftler in Peru 250 Mumien einen Zahn ziehen.

Seine ungewöhnliche Expedition ist Teil eines großangelegten Projekts des Bundesforschungsministerium zu neuen naturwissenschaftlichen Methoden und Techniken in der archäologischen Forschung.

Fehren-Schmitz will anhand der Mumien-Zähne nähere Erkenntnisse über die Population der Nasca-Kultur gewinnen, die zwischen 200 vor Christus und 600 nach Christus unter anderem im südperuanischen Palpa-Tal im Randbereich der Anden und der Atacama-Wüste gesiedelt hat. Das Forschungsprojekt steht unter der Leitung von Dr. Susanne Hummel und Professor Bernd Herrmann.

Berühmt ist die Nasca-Kultur vor allem für ihre gewaltigen Wüsten- und Felszeichnungen, die größtenteils nur aus der Luft zu erkennen sind und vermutlich einen kultischen Hintergrund haben.

Wie die Nasca-Kultur verdrängt wurde, soll erforscht werden

Archäologen haben in dem Gebiet viele Siedlungs- und Bestattungsplätze der Nasca-Kultur gefunden. Wegen des trockenen Klimas und des besonderen Liegemilieus im Boden sind viele Leichname aus der damaligen Zeit mumifiziert. Lars Fehren-Schmitz will mit genetischen Methoden herausfinden, wie sich die Nasca-Kultur entwickelt hat und wie sie am Ende verdrängt wurde.

Daß der Göttinger Forscher den Mumien mit behördlicher Genehmigung gerade an die Zähne geht, hat seinen Grund. "Zahnwurzeln sind häufig eine sehr gute Quelle für erhaltene DNA-Fragmente", sagt Fehren-Schmitz. 20 Proben von verschiedenen Fundorten in Südperu hat er bereits am Göttinger Institut für Anthropologie vorrätig.

Diese reichen allerdings nicht aus, um sichere Aussagen treffen zu können. Deshalb wird er 800 Kilometer quer durch die Wüste reisen und an den verschiedenen Fund- und Lagerorten weitere Proben einsammeln und später am Göttinger Institut untersuchen, das selbst einige der Nasca-Mumien beherbergt. Die Göttinger Anthropologen gehören zu den weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der DNA-Analyse von uraltem Skelett- und Gewebematerial.

Fehren-Schmitz will vor allem populationsgenetische Untersuchungen anstellen. Dabei geht es unter anderem um die bislang ungeklärte Frage, wie die Nasca-Kultur von der aus dem Andenhochland stammenden Huari-Kultur verdrängt wurde. Anhand der DNA-Analysen läßt sich feststellen, ob die Nascas komplett vertrieben wurden oder ob es zu einer Vermischung der beiden Kulturen unter der Herrschaft der Huaris gekommen ist. Möglich wäre auch, daß nur die Nasca-Männer vertrieben wurden und die neuen Herrscher die Nasca-Frauen als Kriegsbeute ansahen und übernahmen.

Der Göttinger Forscher untersucht außerdem tierische Überreste aus der damaligen Zeit, um durch genetische Analysen wirtschaftshistorische Fragen zu klären. So will er herausfinden, welche Wirtschaftstiere die Nascas gehalten haben - Lamas, Alpakas oder Guanakos.

Jede dieser Tierarten habe einen anderen Nutzen gehabt, beispielsweise als Transporttier, Fleischressource oder Wollieferant, sagt Fehren-Schmitz. Anhand von Textilienfunden wollen die Wissenschaftler außerdem klären, ob die Nasca-Menschen ihre Wolle von selbstgezüchteten Tieren hergestellt oder importiert haben.

Untersucht wird auch der Drogenkonsum der Nascas

Und schließlich interessiert sich der Forscher für den Drogenkonsum der Nascas: Er untersucht die peruanischen Mumien auch darauf, ob sie Koka-Blätter konsumiert haben. Sollten sich Drogenspuren finden, wäre dies ein Beleg dafür, daß zu der damaligen Zeit ein Import der in den küstennahen Flachlandregionen angebauten Pflanzen in die Täler am Andenrand stattgefunden hat.

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