Choreografin bringt behinderte Tänzer auf die Bühne
Hilflos krümmt sich der behinderte Afrikaner auf dem Boden. Mehrere Menschen schieben jenen Kaninchenkäfig hin und her, in den er eingesperrt ist. Henry Odongo hat die Augen weit aufgerissen und schreit "Stop!". Immer wieder, immer lauter. Doch die Gruppe quält ihn gnadenlos weiter.
Mit derartigen Szenen wolle sie Tabus brechen, sagt die Kölner Choreografin Gerda König. Bei ihren Tanzproduktionen mit behinderten Künstlern gehe es darum, sich über normale Vorstellungen von Ästhetik hinwegzusetzen.
"Kunst soll nicht schön sein", sagt die Choreografin. Die 39jährige hat vor zehn Jahren die Kölner Tanzgruppe "DIN A 13" gegründet und läßt behinderte und nichtbehinderte Künstler in gemeinsamen Inszenierungen auftreten. Im Frühjahr hat sie sich in Brasilien mit Tabus in der südamerikanischen Gesellschaft befaßt.
Demnächst möchte Gerda König, die selbst im Rollstuhl sitzt, in Malaysia Grenzen des asiatischen Wohlempfindens austesten. Derzeit ist sie in Kenia und hat sich afrikanische Tabus vorgenommen. Das Verbot von Homosexualität, die Kluft zwischen Armen und Reichen sowie die Unterdrückung von Frauen seien hier die wichtigsten Aspekte, erzählt die Künstlerin.
Anfang dieses Monats soll das einstündige Tanztheater "Dance meets differences" (Tanz trifft Unterschiede) im Nationaltheater und im Goethe-Institut in Nairobi zu sehen sein. Eine zusammenhängende Geschichte soll nicht erzählt werden, geplant ist eine Aneinanderreihung von einzelnen Szenen.
Die Choreografin hat für das Stück vier nichtbehinderte Tänzer aus Deutschland und Kenia und drei kenianische Behinderte ohne künstlerische Erfahrung ausgewählt. Einer von ihnen ist Odongo, der als wehrloses Opfer im Kaninchenkäfig auftritt.
Seit seiner Erkrankung an Poliomyelitis kann der 32jährige Kenianer nicht mehr laufen. Vor seiner Kür zum Hauptdarsteller eines Kunstexperiments hat er in einer Kleinstadt im Westen Kenias an der Hauptstraße gesessen und Maiskolben geröstet. Jetzt versucht er, unter Anleitung einer Deutschen die Tabus der kenianischen Gesellschaft sitzend oder liegend mit Tanzbewegungen darzustellen.
Behinderte haben es in Afrika noch viel schwerer als Behinderte in Deutschland oder anderswo in Europa. Sie werden nicht vom Staat unterstützt, häufig von ihren Familien eingesperrt und öffentlich beschimpft. Menschen mit einer Verstümmelung auf einer Bühne zu sehen, dürfte für die meisten Kenianer eine schockierende Vorstellung sein. "Viele haben mich ausgelacht, als ich erzählt habe, daß ich Tänzer werde", erzählt Odongo.
Auch die typisch europäische Kunstform des Tanztheaters ist in Kenia weitgehend unbekannt. Gerda König gibt sich überzeugt, daß ihr Stück trotz dieser Umstände gut ankommen wird: "Tänze sind besser geeignet als alles andere, Grenzen zwischen Kulturen und zwischen Behinderten und Nichtbehinderten zu überwinden." (dpa)