"Vier bis acht schwere Verletzungen pro Saison und Team"

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Fußball ist nicht ganz ungefährlich. Die Fußballorganisation FIFA spricht von etwa 200 Millionen aktiven Fußballern weltweit. Alle zusammen verursachen pro Jahr geschätzte 25 Milliarden Euro primäre Behandlungskosten, Rehabilitation und Nachsorge nicht eingerechnet.

Besonders der Profifußball ist verletzungsträchtig. Nach jahrelanger Erfahrung im professionellen Vereinsfußball kann der Schweizer Sportarzt Professor Roland Biedert aus Biel das Ausmaß des Problems in etwa quantifizieren: "Wir rechnen mit vier bis acht schweren Verletzungen pro Saison und Team", so Biedert auf der Frühjahrstagung der Gesellschaft für orthopädisch-traumatologische Sportmedizin (GOTS) in München.

Bis zu 25 Prozent der Spieler einer Profimannschaft erlitten Verletzungen, die sie zu einer Wettkampfpause von einem Monat oder länger zwängen. Jede vierte Verletzung mit anschließender Wettkampfpause sei eine Wiederholungsverletzung mit oft problematischem Heilungsverlauf und entsprechend längeren Ausfallzeiten.

Auch zu den Verletzungsursachen hatte Biedert einige Zahlen parat. Mehr als die Hälfte der Verletzungen mit Zwangspause sind Folge eines Foulspiels. Bei einer von vier Verletzungen durch Foulspiel ist der Verletzte derjenige, der gefoult hat.

Verletzlich sind Kicker vor allem in den unteren Extremitäten

Wenig überraschend ist die untere Extremität das Organ, das am häufigsten betroffen ist. Wie Dr. Ulrich Hartmann von der TU München darstellte, sind die neuralgischen Stellen im Profifußball vor allem das Knie und das Sprunggelenk.

Alleine diese beiden Gelenke betreffen die meisten schweren Verletzungen. Dazu kommen Muskelverletzungen im Bereich der Kniegelenksbeuger; diese "Hamstrings" genannten Verletzungen machen laut FIFA 15 bis 20 Prozent aller Fußballverletzungen aus. Häufig sind außerdem degenerative Veränderungen der Achillessehne und - seit neuem - Probleme mit dem Mittelfuß.

Für Spieler am schlimmsten ist die vordere Kreuzbandruptur. Sie führt nicht nur zu einer monatelangen Wettkampfpause, sondern sie ist auch fast eine Garantie für künftige Kniegelenksprobleme. Die wiederholte Ruptur eines schon operierten Kreuzbandes bedeutet häufig das Ende einer Profikarriere.

In einer Behandlungsserie von Dr. Ulrich Becker von der Sportklinik Stuttgart spielten nur zwei von 31 aktiven Fußballspielern mit wiederholter Kreuzbandruptur danach wieder Fußball. Bei 25 von 31 Patienten waren beim Wiederholungseingriff bereits degenerative Veränderungen im Gelenk erkennbar, obwohl der Ersteingriff im Mittel nur drei Jahre zurück lag.

Biedert machte darauf aufmerksam, daß das Knie bei weiblichen Profifußballern noch stärker gefährdet ist als bei Männern: "Wegen anatomischer Unterschiede kommt es bei der Außenrotation der Tibia zu höheren Zugkräften auf das vordere Kreuzband", erläuterte Biedert.

Ein relativ neues Phänomen sind Mittelfußdistorsionen, die kürzlich durch die Verletzung des britischen Stürmertalents Wayne Rooney eine öffentliche Aufmerksamkeit erfuhren. "Die Häufigkeit hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen", so Privatdozent Marcus Walther vom Orthozentrum München. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer kompletten Ruptur der Mittelfußbänder mit einem schmerzhaften Absinken des Längsgewölbes des Fußes.

Mittelfußdistorsion wird häufig übersehen

Weil diese Verletzung auf normalen Röntgenbildern nicht zu sehen sei, und weil sie ähnliche Beschwerden wie ein Umknicktrauma verursache, werde sie häufig übersehen. Das kann schlimme Folgen haben: "Die besten Operationsergebnisse werden in den ersten 24 Stunden erzielt", so Walther in München. Wird länger gewartet, sind Betroffene häufig dauerhaft beeinträchtigt: Bis zu 50 Prozent aller Patienten können dann das Leistungsniveau vor ihrer Verletzung nicht mehr erreichen.

Als Ursache für die zunehmenden Probleme mit Mittelfußverletzungen im Profifußball nannte Walther die athletischere Spielweise. Vor allem aber hat er einen in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Trend zu immer flexibleren Schuhen im Verdacht.

"Es gibt eine Philosophie bei der Sportschuhproduktion, die die Auffassung vertritt, daß Schuhe wie eine zweite Haut sein sollten", so Walther. Bei Schuhen, die nach dieser Philosophie hergestellt werden, werde auf stabilisierende Elemente im Mittelfußbereich verzichtet, um dort eine Flexion zu ermöglichen. Der Fall Rooney scheint diese These zu bestätigen: Der Engländer nutzte am Tag seiner Verletzung erstmals einen besonders instabilen Schuh.

Ehemalige Fußball-Profis leiden häufig an Arthrose

Bezahlen Profifußballer für ihr hohes Einkommen also mit ihrem Körper? Ganz von der Hand zu weisen ist diese These nicht, wie Zahlen zeigen, die Professor Gerhard Bauer von der Sportklinik Stuttgart im Mai auf dem Berliner Chirurgenkongreß präsentierte.

Demnach ist Fußball in Deutschland Ursache für 57 Prozent aller Fälle von Sportinvalidität. "Nach Untersuchungen in der Schweiz leiden 50 Prozent der Ex-Profifußballer an Arthrose, knapp ein Drittel hatte mindestens eine Gelenkoperation, und ebenfalls knapp ein Drittel kommt nicht ohne Schmerzmitteleinnahme aus", so Bauer.

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