Injektionen bei Kerzenschein im Keller

FRANKFURT/MAIN (Smi). Es ist die erste Bildbiografie über Gottfried Benn und eine besondere dazu. Holger Hof zeigt in dem Buch "Benn. Sein Leben und Werk in Bildern und Texten" eine Fülle unbekannter, selten oder noch nie veröffentlichter Fotos, die den expressionistischen Dichter in all seinen Facetten zeigen - als Arzt, als Dichter, in sich gekehrt oder im Kreis seiner Kollegen, als Privatmann beim Sonntagsausflug im Wald.

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"Ich war Arzt an einem Prostituiertenkrankenhaus, ein ganz isolierter Posten, lebte in einem konfiszierten Haus, elf Zimmer, allein mit meinem Burschen, hatte wenig Dienst, durfte in Zivil gehen, war mit nichts behaftet, hing an niemandem, verstand die Sprache kaum, strich durch die Straßen, fremdes Volk, (…), ich lebte am Rande, wo das Dasein fällt und das Ich beginnt, ich denke oft an diese Wochen zurück, sie waren das Leben, sie werden nicht wiederkommen, alles andere war Bruch."

Der Leser wird Benn mit anderen Augen sehen

Als Dr. Gottfried Benn am 19. August 1921 jenen "Lebenslauf" verfasste, in dem er sich an einen dreimonatigen Einsatz 1916 in einem Kriegslazarett in Brüssel erinnert, lagen noch 35 Lebensjahre vor ihm. Zu dem melancholischen Ton, der aus den Worten spricht, passt ein Bild, das den jungen Arzt in seinem Brüsseler Haus zeigt - weit entfernt vom Objektiv der Kamera in einem riesigen Wohnzimmer.

Text und Bild stammen aus einer neuen Bennbiografie, die nicht nur Verehrer des Dichter-Arztes entzücken wird: Dr. Holger Hof hat Zeitungsartikel, Urkunden, Zeichnungen, Faksimiles von Briefen und Postkarten zusammengetragen, selbst die verschiedenen Eintragungen des "Arztes für Hautkrankheiten" im Berliner Adressbuch sind erhalten. Benn als Kind, als junger Mann, Benn auf dem Sterbebett, Benn als Denker, als Analytiker, als Träumer - wer dieses Buch durchblättert, wird den Arzt und Dichter fortan mit anderen Augen sehen.

Hunderte von Bildern und Zeugnissen dokumentieren Benns Leben von seiner Geburt am 2. Mai 1886 in Mansfeld bis hin zu seinem Tod am 7. Juli 1956 in Berlin. Portraits seiner Eltern und Geschwister, Momentaufnahmen aus Benns Kindheit und Jugend, vom Studium, Militärdienst, aus der Zeit seiner Assistenzarzttätigkeit und Niederlassung, von seinen vielen Frauen, aus der Zeit des Sympathisierens mit den Nazis, der Zeit des Schweigens und der Zeit seiner literarischen Anerkennung, nicht zuletzt von der Büchnerpreis-Verleihung 1951 - alles und noch viel mehr findet sich in dieser Schatzkiste.

Die Arbeit als Arzt mochte Benn "nicht missen"

Benn, das wird deutlich, behielt Zeit seines Lebens die melancholischen Züge, die schon den jungen Mann prägten. Sein Arztberuf hat ihn erfüllt, wie eine Eintragung aus dem Jahr 1947 belegt: "Noch heute muss ich in dem Bezirk, in dem ich niedergelassen bin, Nachtdienst mitmachen. Nachtdienst heißt, von abends 8 Uhr bis morgens 7 Uhr in einer Baracke zubringen, die sich schlecht heizt - Telefonanrufe etwa 12 die Nacht, keine Straßenschilder, die Hausnummer nicht erkennbar - Hinterhöfe, Keller, Trümmerstätten, während der Blockade unbeleuchtet, in der linken Hand eine Kerze, in der rechten eine Injektionsspritze (…) kurz kein lyrisches Idyll. Aber alles das muss sein, es ist gemäß und ich möchte es nicht missen."

Ein letzter Hinweis: In der Zusammenstellung der Bilder und Begleittexte setzt Herausgeber Hof manches an Vorwissen voraus. Da sich nicht jeder Zusammenhang aus dem Kontext erschließt, hätte man sich an einigen Stellen weitere Erläuterungen gewünscht. Das vermag den Gesamteindruck dieses opulenten Werks jedoch kaum zu schmälern.

Holger Hof (Hrsg.): Benn. Sein Leben und Werk in Bildern und Texten. Klett-Cotta. Stuttgart 2008, 49 Euro.

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