In Kenias Slums wächst die Gewalt mit Waffen

Weltweit gibt es rund 600 Millionen Kleinwaffen. Die Folgen - insbesondere in Kenia - sind fatal.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Kibera, ein riesiger Slum am Rande von Nairobi - hier grassiert die Gewalt.

Kibera, ein riesiger Slum am Rande von Nairobi - hier grassiert die Gewalt.

© Foto: Hugenberg

Der Hamburger Arzt Dr. Florian Hugenberg beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen der Kleinwaffengewalt in Afrika. Beim Kongress "Kultur des Friedens" der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) in Berlin hat er jetzt über seine Arbeit berichtet. Mehr als 40 Experten haben sich dort mit den globalen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts auseinandergesetzt.

Weltweit sind Schätzungen nichtstaatlicher Organisationen wie amnesty international zufolge mehr als 600 Millionen Kleinwaffen im Umlauf, wozu vor allem Pistolen und Gewehre, mitunter auch Handgranaten gezählt werden. Jährlich sterben 500 000 Menschen an Schussverletzungen.

Kalaschnikows sind begehrt

Obwohl Kenia als vergleichsweise stabiles Land gilt, ist auch hier die Zahl an Kleinwaffen groß. Ursache dafür ist die Verbreitung der Waffen in den Grenzgebieten zu den Bürgerkriegsländern Äthiopien, Somalia, Sudan und Uganda, wo nach Schätzungen der IPPNW zwischen 100 000 und 130 000 Waffen im Umlauf sind. Allein in Nordkenia sollen 90 bis 95 Prozent der Haushalte Waffen besitzen. Während in Städten wie Nairobi und Mombasa hauptsächlich Pistolen gehandelt werden, sind es in ländlichen Regionen meist Gewehre, vor allem Kalaschnikow.

Dr. Florian Hugenberg, seit anderthalb Jahren Assistenzarzt am Klinikum Osnabrück, hat im Zuge seiner Ausbildung zweimal in der größten Universitätsklinik Kenias, dem Kenyatta National Hospital in Nairobi, gearbeitet, einmal für drei Monate, ein zweites Mal sechs Monate lang. Dort ist er auch mit den Folgen der Schusswaffengewalt in Ostafrika konfrontiert worden. Und er hat erfahren, dass sich die Anzahl der Patienten mit Schussverletzungen innerhalb eines Zeitraums von nur zehn Jahren verfünffacht hat.

Hugenberg hat zwischen Januar und Juni 2006 im Kenyatta National Hospital gearbeitet und innerhalb dieses Zeitraums 120 Patienten mit Schussverletzungen gezählt. Gemeinsam mit dem kenianischen Arzt Dr. Walter Odhiambo hat er die so genannte Firearm-Studie verfasst. Danach sind in 55 Prozent der Fälle von Schussverletzungen die Extremitäten betroffen, meist die Beine. Da es keine Rettungssysteme gibt, werden vier von fünf Verletzten von Angehörigen, Freunden oder Bekannten in die Klinik gebracht. Andere sterben häufig. In der Klinik beträgt die Letalität bei Patienten mit Schussverletzungen gut zehn Prozent.

Hugenberg, der seine Dissertation zum Thema verfasst hat, weist auf ein weiteres schwerwiegendes Problem. "Im Durchschnitt müssen die Betroffenen das Zwei- bis Fünffache ihres monatlichen Haushaltseinkommens für ihren Klinikaufenthalt aufwenden", erzählt der 28-Jährige im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Verletzung bedeutet Armut

Die offizielle Armutsgrenze hat die kenianische Regierung bei einem Monatseinkommen von 30 Euro pro Person festgelegt, die durchschnittliche Klinikrechnung nach einer Behandlung wegen einer Schussverletzung liegt bei 180 Euro. Da es keine sozialen Auffangsysteme in Kenia gibt, bedeutet eine Schusswaffenverletzung für jene, die überleben, danach oft ein Dasein in Armut.

Ärzte genießen auch in Ostafrika ein hohes Ansehen. Mit Hilfe ihrer Autorität will die IPPNW in Zukunft noch stärker auf Entscheidungsträger einwirken, um die Kleinwaffengewalt weiter einzudämmen.

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