Vergiftungsgefahr aus dem Pflanzenreich?

Es ist gut einen Meter hoch und beginnt im Juli leuchtend gelb auf Äckern, Wiesen und an Wegrändern zu blühen: das Jakobskreuzkraut. Doch die hübsche Pflanze hat es in sich. Sie enthält eine ordentliche Portion toxischer Pyrrolizidinalkaloide.

Ruth NeyVon Ruth Ney Veröffentlicht:

Weil sie sich rasant verbreitet, schlägt ein Wissenschaftler der Universität Bonn Alarm. Der Pharmazeut, der seit Jahren über Pyrrolizidinalkaloide forscht, hält es für möglich, dass sie durch Bienen und Weidetiere auch in die Nahrungskette gelangen. So könnten sich kritische Mengen etwa in Honig und Milch ansammeln (wir berichteten).

Dr. Helmut Wiedenfeld vom Pharmazeutischen Institut der Uni Bonn hält daher den Wirbel, den das Kraut in den vergangenen Wochen nach einer Pressemitteilung der Universität verursacht hat, für durchaus berechtigt. Das Problem sei schon seit einigen Jahren bekannt. „Bisher herrschte aber in den offiziellen Stellen die Einstellung: Na ja, das wächst sich aus“, sagte Wiedenfeld im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“. Inzwischen gebe es jedoch durch die Ausbreitung der anspruchslosen Pflanze massive Probleme beim Weidevieh, das die giftigen Inhaltsstoffe mit dem Futter aufnimmt. Für Pferdehalter ist die Gefahr bereits seit Längerem ein Thema, denn Pferde reagieren besonders empfindlich mit ZNS-Störungen und Leberschäden auf den Verzehr der Pflanze. Der Arbeitskreis Jakobskreuzkraut geht von über 100 nachgewiesenen Todesfällen pro Jahr in Deutschland aus.

Die Toxine wirken auch Krebs erzeugend.

Bedenklich stimmt Wiedendeld, dass man inzwischen in Honigproben Pyrrolizidinalkaloide aus dem Jakobskreuzkraut gefunden hat. „Bei den Honigproben aus Deutschland ist die Menge noch nicht so hoch, dass ein Verzehr für Menschen bedenklich wäre“, so der Biologe. „Aus den Niederlanden, wo das Problem mit Jakobskraut massiver ist, liegen allerdings Untersuchungsergebnisse mit kritischen Pyrrolizidinalkaloid-Werten vor.“

Als Grenzwert für Pyrrolizidinalkaloide wurde 1992 im Stufenplan zur Abwehr von Arzneimittelrisiken eine maximale Aufnahmemenge von einem Mikrogramm pro Tag, beschränkt auf vier bis sechs Wochen festgelegt. Schwangere, Stillende und Kleinkinder sollen gar keine Zubereitungen mit diesen Inhaltsstoffen aufnehmen. Anlass für diese Maßnahme war der Todesfall eines Kindes. Dessen Mutter hatte selbst gesammelten Hustentee zubereitet. „Sie hat dabei allerdings Alpendost-Blätter mit Huflattich verwechselt. Darin sind besonders viele Pyrrolizidinalkaloide enthalten“, erinnert Wiedenfeld.

Bei dem aktuell in der Presse zitierten Todesfall eines Neugeborenen war auch nicht Jakobskreuzkraut im Spiel, sondern Beinwell. Die Mutter hat einen damit versetzen Gesundheitstee in der Schwangerschaft getrunken. Und die enthaltenen Pyrrolizidinalkaloide haben die besonders empfindliche fetale Leben massiv geschädigt, wie Wiedenfeld in einer Untersuchung festgestellt hat. Prinzipiell werden Pyrrolizidinalkaloiden erst bei der Metabolisierung in der menschlichen Leber toxifiziert. Dann bilden sich Substanzen, die vor allem krebserzeugend wirken, indem sie mit der DNA interkalieren. Sie schädigen somit nicht akut, sondern chronisch und irreversibel.

Vergiftungsfälle in England und in Nordäthiopien

Auch wenn die Vergiftungsfälle mit Pyrrolizidinalkaloiden bei Menschen hierzulande bisher auf andere Pflanzen zurückgeführt werden konnten, sieht Wiedenfeld eine realistische Gefahr durch Jakobskreuzkraut. Denn im Vergleich zu anderen heimischen pyrrolizidinalkaloidhaltigen Pflanzen wie Beinwell, Borretsch und Huflattich sei die Struktur der Inhaltsstoffe viel toxischer beziehungsweise ihr Gehalt viel höher.

„Aus England sind zum Beispiel Vergiftungsfälle durch einen speziellen Honig aus Jakobskreuzkraut bekannt“, berichtet Wiedenfeld. Auch aus anderen Ländern seien Vergiftungen durch Pyrrolizidinalkaloide in der Nahrung bekannt. So sei es in Nordäthiopien seit 2001 zu über 300 Todesfällen – vor allem bei Kindern – gekommen. Der Grund: Bei der manuellen Ernte und dem Ausklopfen von Hirse sind Samen einer mit dem Kreuzkraut verwandten und verbreiteten Pflanze (Agaratum conzyoides) dazwischen geraten.

„Ein Kollege von der Welternährungsorganisation FAO geht davon aus, dass bei den meisten Todesfällen durch pflanzliche Inhaltsstoffe Pyrrolizidinalkaloide die Ursache sind“, so Wiedenfeld. „Wir müssen deshalb auch hierzulande etwas tun.“ Besonders betroffene Regionen seien dabei Niedersachsen und der Niederrhein. Das Problem: Trotz der Verbreitung in der Natur, würde beim Wort Alkaloide zunächst nur an Nikotin, Atropin oder Morphin gedacht – also an Substanzen mit einer medizinischen Bedeutung.

Um aber die zuständigen Behörden von den möglichen Gefahren für Menschen durch Jakobskreutzkraut zu überzeugen, fehlen noch valide Daten. „Wir haben daher ein Projekt zusammen mit dem Institut für Tierernährung initiiert, bei dem wir konkrete Mengen von Jakobskreuzkraut, so wie sie auf Weiden vorkommen, an Milchkühe verfüttern“, erläutert Wiedemann. Vorher werde der Alkaloidgehalt der Pflanzen analysiert, um überprüfen zu können, wie viel sich davon dann in der Milch wiederfindet. Mit ersten Ergebnissen rechnet der Wissenschaftler im September.

 

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