Charité leidet unter Wachkoma der Politiker

Im nächsten Jahr feiert die Charité ihr 300-jähriges Bestehen. Aktuellen Grund zum Feiern gibt es gerade allerdings kaum: Denn die Zukunft der größten Uniklinik Europas steht mal wieder auf dem Spiel.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Dringender Sanierungsbedarf, marode Bausubstanz: Das Hochhaus-Gebäude der Charité in Berlin.

Dringender Sanierungsbedarf, marode Bausubstanz: Das Hochhaus-Gebäude der Charité in Berlin.

© Foto: dpa

Bei der Grundsteinlegung für das Gebäude der Vorklinik der Charité hat er persönlich Worte der Würdigung gefunden. "Ich bin sicher, dass von diesem Gebäude wichtige Impulse für die Gesundheitswirtschaft in Berlin ausgehen werden", sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit (SPD) beim ersten Spatenstich für das Investitionsprojekt am Campus Berlin-Mitte Ende September.

Vorher war lange Zeit kein Wort des Regierenden über die Zukunft der Charité zu vernehmen. Die "Gesundheitsstadt Berlin" schien nicht einmal ein Lippenbekenntnis der Politik zu sein, geschweige denn ein wirtschaftspolitisches Programm. Das traf zuletzt nicht nur die Charité, aber als Einrichtung des Landes traf es sie besonders hart.

Noch immer zittert die Uniklinik um ihre Zukunft. Was wird aus dem Bettenhochhaus in Mitte? Was wird aus dem Campus Benjamin Franklin? Weil politische Entscheidungen ausstehen, stocken notwendige Investitionen. 195 Millionen Euro sind für die kommenden zwei Jahre bewilligt und freigegeben. Doch wohin die Mittel fließen sollen, ist unklar, eine Richtungsentscheidung fehlt.

Nachdem die Berliner Politik erkannt hat, dass sie von Charité und Vivantes kaum erwarten kann, dass die Klinikbetreiber freiwillig einen ihrer Standorte im überversorgten Südwesten Berlins aufgeben, hat sie eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Dort diskutieren die drei Senatoren Jürgen Zöllner (Wissenschaft), Ulrich Nussbaum (Finanzen) und Katrin Lompscher (Gesundheit) mit den beiden Vorstandsvorsitzenden der großen Berliner Kliniken, welcher Kurs eingeschlagen werden soll. Ein politisches Konzept ließ sich dabei bislang nicht erkennen.

Investieren oder Schließen - eine andere Alternative gibt es für Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl nicht. Wichtig ist ihm, dass bald eine Entscheidung fällt. "Für uns ist entscheidend, dass wir eine Planungsrichtung bekommen", sagte Einhäupl der "Ärzte Zeitung". Nicht nur Investitionen warten auf eine Entscheidung der Politik, sondern auch Strukturentscheidungen wie Neuberufungen oder die weitere Umgestaltung der Kliniken in Zentren.

Verloren hat er den Glauben an die Politik dabei nicht: "Ich habe schon den Eindruck, dass bei den regierenden Fraktionen angekommen ist, dass die Charité etwas ist, was gestützt werden muss", so Einhäupl. Wenigstens eine Aussicht dürfte auch den Charité-Chef zum Jubiläumsjahr in Freudenstimmung versetzen: Derzeit deutet alles daraufhin, dass die Uniklinik ihr Finanzziel für dieses Jahr erreicht und ihr Minus von 56 auf rund 20 Millionen Euro reduziert.

Die Charité in Zahlen

Größe: Vier Standorte mit 600 000 qm Nutzfläche, organisiert in 17 Zentren mit 107 Kliniken und Instituten und 3200 Betten

Mitarbeiter: 10 400, darunter 2640 Wissenschaftler und Ärzte, 3630 Schwestern und Pfleger, 810 Verwaltungsmitarbeiter, und 270 Professorinnen und Professoren

Fallzahlen: 130 200 stationäre und 497 000 ambulante Patienten

Durchschnittliche Verweildauer: 7,6 Tage

Jahresumsatz: 1,1 Milliarden Euro

Drittmittel: 129,8 Millionen Euro

Studierende: 7325

Forschung: 15 Sonderforschungsbereiche, fünf klinische Forschergruppen, fünf Forschergruppen der DFG, zwei Kompetenznetze des BMBF, vier Graduiertenkollegs

300 Jahre Charité

1710 Das Pesthaus wird fertiggestellt, aus dem später das Bürgerhospital "Charité" hervorgeht.

1762 Der königliche Leibarzt und leitende Charité-Arzt Johann Theodor Eller entwirft Regeln für die preußische Arztausbildung.

1833 Der Physiologe Johannes Müller kommt an die Charité und gilt gemeinsam mit Johann Lukas Schönlein als Begründer der "Berliner Schule", die die naturwissenschaftlichen Methoden in der Medizin vorantrieb.

1842 Johann F. Dieffenbach publiziert "Über das Schielen"

1851 Hermann von Helmholtz entwickelt den Augenspiegel

1857 Albrecht von Graefe behandelt das Glaukom

1858 Rudolf Virchow veröffentlicht seine "Cellularbiologie"

1882 Robert Koch entdeckt den Tuberkulose-Erreger

1901 Der erste Nobelpreis für Medizin geht an Emil von Behring für die Entwicklung eines Impfserums gegen Diphtherie

1908 Zum ersten Mal leitet eine Frau eine Poliklinik: Rahel Hirsch. Das Immatrikulationsrecht für Frauen wird eingeführt.

1929 Werner Forßmann publiziert "Sondierung des rechten Herzens"

1931 Ferdinand Sauerbruch gelingt die erste Aneurysma-Op.

1951 Zusammenführung Charité und Uniklinikum zur Medizinischen Fakultät der Humboldt-Uni

2003 Rudolf-Virchow-Klinikum und Benjamin-Franklin-Klinikum werden mit der Charité zur Charité Universitätsmedizin

2010 300-Jahr-Feier

Lesen Sie dazu auch: Vom Pesthaus bis zur Uniklinik Lesen Sie dazu auch das Interview: "Charité war Beispiel für aktive Gestaltung durch Politik"

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