Von der Feuerstelle zum Sternerestaurant

Wie moderne Medien unser Ernährungsverhalten beeinflussen, zeigt derzeit die Ausstellung "Satt? Kochen, essen, reden" im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main: Das Fernsehen ist Teil der Tischgesellschaft geworden.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
In der "guten Stube" der Familie aus den 1950er Jahren darf das TV-Gerät nicht fehlen.

In der "guten Stube" der Familie aus den 1950er Jahren darf das TV-Gerät nicht fehlen.

© Foto: Museum für Kommunikation Frankfurt

Ob beim Kaffeeklatsch im heimischen Wohnzimmer oder beim Tête-à-tête im Restaurant, ob mit Freunden am Party-Buffet oder mit Staatsgästen beim Gala-Dinner: Anlässe zum Essen sind auch immer Anlässe zum Reden. Beim gemeinsamen Essen lernen sich Menschen kennen, vertiefen ihre Beziehung, erörtern Probleme und führen Verhandlungen zu einem sinnvollen Abschluss. Das gemeinsame Essen begleitet Menschen ein Leben lang vom Fest der Taufe bis zum Leichenschmaus.

Das Fernsehen verändert die Esskultur der Familien

Die Ausstellung "Satt? Kochen, essen, reden", die noch bis zum 7. Februar 2010 im Museum für Kommunikation Frankfurt am Main zu sehen ist, zeigt die Entwicklung unserer beredten Esskultur von der Feuerstelle bis zum Sternerestaurant, vom Abendmahl bis zur Kochshow. Dabei wird auch deutlich, wie sehr sich unser Essverhalten mit der Einführung moderner Medien wie dem Fernsehen verändert hat.

"Das Fernsehen macht aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis", schrieb die französische Schriftstellerin Françoise Sagan. Ein schönes Bild, das im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn trifft. Denn da, wo die Familie einst am Tisch zusammen gesessen hat, um zumindest einmal am Tag die Gemeinschaft zu pflegen, klafft heute oft eine Lücke, die vom Fernseher nur augenscheinlich geschlossen wird.

Besseres Benehmen, weil der Moderator zuschaute?

Seit seiner Erfindung, so erfahren Besucher der Frankfurter Ausstellung, ist die "Glotze" zum festen Bestandteil der Tischgesellschaft geworden. Dabei soll sie in früheren Zeiten auch während des Essens eine tragende Rolle gespielt haben: So habe sich mancher Zuschauer vor laufendem Fernseher gar disziplinierter als sonst verhalten, weil der Sprecher hinter der Mattscheibe ja zuschaute …

Magen und Darm schuften, das Hirn ist auf Stand-by

In den Hochburgen unserer Single-Gesellschaft hat der Fernseher längst die Rolle des Gesprächspartners beim Essen übernommen. Auch viele Familien verzichten inzwischen auf das gemeinsame Essen am Tisch und nehmen die Mahlzeiten auf dem Sofa vor dem Fernseher ein. Geredet wird dabei selten, die Unterhaltung überlässt man den Moderatoren und Talkshow-Gästen. Jene liefern allenfalls die Stichworte für Kurzkommentare zwischen zwei Leckerlis. Damit verflacht die Kommunikation genauso wie der Nahrungsgenuss.

1964 kam der Begriff "Fernsehhäppchen" zum ersten Mal auf. Sandwiches und Cracker, Chips und Salzstangen, Erdnüsse und Pralinen ersetzten zunehmend das einstige Abendbrot der Tischgesellschaft. Während Magen und Darm schuften, verharren Körper und Hirn für Stunden im Stand-by-Modus. Im Fernsehen wiederum werden jene Produkte beworben, die den TV-Konsum versüßen. So genannte "Zivilisationskrankheiten" sind eine Folge dieser Entwicklung. Hier schließt sich der Kreis.

Einen weiteren Zusammenhang zwischen Fernsehen und Esskultur veranschaulicht in der Frankfurter Ausstellung eine moderne Videoinstallation zum Thema Kochshow. Jene gibt es schon seit den Anfängen des Fernsehens.

Kochshows sind auf allen Kanälen zu Hause

1953 bat Clemens Wilmenrod zu Tisch, ihm folgten Fernsehköche wie Kurt Drummer, Rudolf Kroboth, Ulrich Klever oder Max Inzinger. Heute sind die Kochshows gar nicht mehr aus dem Programm wegzudenken. Neben etablierten Sendungen mit (Hobby-)Köchen wie Alfred Biolek, Tim Mälzer, Johann Lafer, Kolja Kleeberg, Alfons Schuhbeck, Rainer Sass, Sarah Wiener und Ralf Zacherl gibt es auch Formate mit wechselnden Besetzungen wie die "Küchenschlacht" (ZDF), das "Fast-Food-Duell" (Kabel eins) oder "Das perfekte Promi-Dinner" (Vox). Otto Geisel, Vorsitzender des Vereins Slow-Food in Deutschland, sieht den Boom der Kochshows nüchtern: "Die Leute sitzen vor dem Fernseher, schauen anderen beim Kochen zu und essen dabei eine Tiefkühlpizza."

Wie es sich für ein Kommunikationsmuseum gehört, können sich Besucher verschiedener Medien bedienen, um sich dem Thema der Ausstellung zu nähern. Hier hören sie über Kopfhörer einen Vortrag zur Etikette beim Essen, dort können sie am Laptop den "Tatort"-Kommissaren Ballauf und Schenk beim Essen einer Currywurst zusehen. Am Ende werden sie aufgefordert, ein eigenes, besonderes Geschmackserlebnis schriftlich zu fixieren, welches einer Installation hinzugefügt wird, die die Besucher am Aufgang in die Ausstellung lockt.

Die Ausstellung "Satt? Kochen, essen, reden" ist noch bis 7. Februar 2010 im Museum für Kommunikation Frankfurt zu sehen. Internet: www.mfk-frankfurt.de. Ab dem 26. März 2010 ist die Ausstellung im Museum für Kommunikation in Berlin.

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