Kampf vom Taugenichts bis zur Anerkennung

In der Antike versuchte man Taubheit mit geräuchertem Ziegen-Urin zu heilen, im Mittelalter mit Muttermilch, später galten taube Menschen als dumm oder besessen. In Deutschland ist seit 2002 die Gebärdensprache rechtlich anerkannt. Ein Museum in Frankfurt zeigt Fundstücke über den Kampf der Taubstummen für ihre Rechte.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Ohren-Öle, Ohren-Salben und andere Heilapparate sollten gegen die Taubheit helfen: Die Exponate zeigt die Ausstellung des Museums zur Geschichte Gehörloser. ©Smith

Ohren-Öle, Ohren-Salben und andere Heilapparate sollten gegen die Taubheit helfen: Die Exponate zeigt die Ausstellung des Museums zur Geschichte Gehörloser. ©Smith

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Viele Jahrhunderte lang galten Gehörlose als bildungsunfähig und unwürdig, die Sakramente zu empfangen. Von Vorurteilen und Verfolgung, aber auch vom erfolgreichen Kampf der Taubstummen für ihre Rechte. Davon erzählt das vor kurzem gegründete "Museum zur Geschichte der Gehörlosen und Schwerhörigen" in Frankfurt am Main.

In der Kirche stiftete lange Zeit ein Pauluswort aus den Römerbriefen Verwirrung. "Der Glaube kommt also aus dem Hören der Botschaft", wurde Kapitel 10, Vers 17 übersetzt und von manchen Theologen so gedeutet, dass Taubstumme gar nicht erst zur Messe gehen dürften, also von den Sakramenten ausgeschlossen blieben. Martin Luther machte diesem Irrglauben endlich ein Ende, indem er kundtat, dass wenn Taube die Besonderheit des Abendmahls verstünden, sie selbstverständlich auch daran teilhaben sollten.

Erst in der Neuzeit setzte sich die Erkenntnis durch, dass Stummheit eine Folge der Taubheit ist und man Gehörlosen durchaus das Sprechen beibringen kann. Diese Erkenntnis führte im 18. Jahrhundert zur Gründung der ersten beiden Taubstummenschulen der Welt - der von Charles Michel de l'Epée 1770 in Paris eröffneten Taubstummenschule und dem 1778 von Samuel Heinicke gegründeten "Churfürstlich-Sächsischen Institut für Stumme und andere mit Sprachgebrechen behaftete Personen" in Leipzig.

Erster Taubstummenverein wurde 1872 gegründet

Wie Schautafeln im Gehörlosenmuseum erläutern, gelten L'Epée (1712-1789) und Heinicke (1727-1790) als Pioniere der Hörgeschädigtenpädagogik. Sie lehrten die zwei Verständigungsformen für Gehörlose, das Fingeralphabet und das Lippenablesen.

Aber erst Eduard Fürstenberg (1827-1885) ebnete den Weg zu einer breiten gesellschaftlichen Anerkennung der Taubstummen in Deutschland. Fürstenberg, der im Alter von vier Jahren sein Gehör verlor, gehörte 1848 zu den Gründern des ersten "Taubstummen-Vereins" in Berlin, brachte 1872 die erste Gehörlosen-Zeitschrift "Der Taubstummenfreund" heraus und lud 1873 zum "1. Deutschen Taubstummen-Congreß" nach Berlin. Später rief er ein Hospital für alte Gehörlose ins Leben und gab den Anstoß zur Gründung eines Taubstummenheims in Berlin-Hohenschönhausen.

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Wer sich einen Überblick über die Geschichte der Gehörlosen verschafft hat, wird im zweiten Teil der Frankfurter Ausstellung auf unterhaltsame Weise in die Welt der Hilfsmittel eingeführt. Hörpfanne, Hörrohr, Hörschlauch, Hörglöckchen, nicht zu vergessen das "Vibrationsgerät" gegen Taubheit und eine aus den USA stammende Hörhilfe für die Beichte in der katholischen Kirche, daneben Tropfen, Salben, Öle - offenbar gab es nichts, was man nicht versucht hat, um Taube hörend zu machen.

Umfassend widmet sich das Frankfurter Museum auch der Zeit des Nationalsozialismus, die von Anbiederung und Verfolgung der Gehörlosen kündet. So gab es innerhalb der Hitlerjugend eine eigene Gehörlosen-Gruppe, den so genannten "Bann-G", und selbst über die Gründung einer Gehörlosen-SA sei nachgedacht worden, erzählt Museumsleiter Lothar Scharf, der die meisten Exponate zusammengetragen hat. Andererseits wurden Gehörlose, wenn ihre Taubheit vererbbar war, von den Nazis zwangssterilisiert und die Gebärdensprache als "Affensprache" verhöhnt.

Schutzarmbinden schrieb das Gesetz bis 1964 vor

Wie lange es dauerte, bis die Gehörlosen endlich in unserer Gesellschaft ankamen, zeigen zwei Daten aus neuerer Zeit: Noch 1964 waren Gehörlose in Deutschland vom Gesetz her verpflichtet, "Schutzarmbinden" (drei schwarze Punkte auf gelbem Grund) zu tragen. Die rechtliche Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache erfolgte mit dem Behindertengleichstellungsgesetz erst im Jahr 2002.

Gehörlosenmuseum

Das "Museum zur Geschichte der Gehörlosen und Schwerhörigen" befindet sich in der Rothschildallee 16 a in 60389 Frankfurt am Main. Es ist (außer an Feiertagen) donnerstags von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Besichtigungen und Führungen können auch telefonisch (069-945930-0), per Fax (069-945930-28) oder E-Mail (scharlo@rgt-webdesign.com) vereinbart werden. Der Eintritt beträgt zwei Euro. Weitere Informationen im Internet unter www.deafmuseum.de

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