Hier studieren auch Rolli-Fahrer

Das Konrad-Biesalski-Haus am Marburger Schlossberg ist 40 Jahre alt geworden - ein Studentenwohnheim, in dem Behinderte und Nicht-Behinderte zusammenleben.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Am Schreibtisch: Rollstuhlfahrerin Monika Wieben. © Coordes

Am Schreibtisch: Rollstuhlfahrerin Monika Wieben. © Coordes

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MARBURG. "Das Konrad-Biesalski-Haus war mein Sprungbrett ins Leben", sagt Clemens Schwan. Der Rollstuhlfahrer gehörte zu den ersten Bewohnern des bundesweit einmaligen Studentenwohnheims der Marburger Philipps-Universität. Eigentlich wollte er Sport- und Deutschlehrer werden. Doch ein unverschuldeter Autounfall machte ihn zum Querschnittsgelähmten: "Das Biesalski-Haus war damals für mich die einzige Möglichkeit, es noch einmal mit dem Studium zu versuchen."

Heute ist Clemens Schwan Behindertenbeauftragter der Marburger Universität. Das Wohnheim für schwer körperbehinderte Studierende feierte im Dezember vergangenen Jahres sein 40-jähriges Jubiläum.

40-köpfiges Team stellt Tagesablauf sicher

1969 - auf Initiative des damaligen Direktors der Orthopädischen Uni-Klinik entstanden - war es in Europa ohne Vorbild. Bis heute kommen Rollifahrer aus dem ganzen Bundesgebiet nach Marburg, um mit Hilfe des ungewöhnlichen Heims am Schlossberg zu studieren. Dabei ist nur ein Drittel der 77 Bewohner behindert. Aber das Haus ist eben auch ein Modell, durch das Rollifahrer und "Fußgänger" selbstverständlich zusammenwohnen können. Das Wohnheim ist komplett behindertengerecht ausgebaut - von unterfahrbaren Tischen und Herden über elektronisch zu öffnende Türen bis zu begehbaren Duschen.

Ein 40-köpfiges Team von Pflegekräften, Zivildienstleistenden und Fahrern stellt den Tagesablauf der Rollstuhlfahrer sicher und ist rund um die Uhr präsent. Das Studentenwerk als Träger will den behinderten Studienanfängern damit einen optimalen Einstieg bieten.

"Marburgs nobelstes Studentenwohnheim"

Das Zusammenleben zwischen Rollis und Fußgängern, wie sie dort heißen, funktioniert gut. Es wird zusammen gekocht und gefeiert. Die Fußgänger träten den Rollis "völlig ohne Vorbehalte" entgegen, berichten behinderte Studenten. Nur müssten die Neulinge schnell darauf trainiert werden, die Schranktüren in der Küche immer zu schließen.

Allerdings profitieren auch die nicht behinderten Studierenden von dem "nobelsten Wohnheim Marburgs", wie es eine Bewohnerin nennt. In jedem der 14 Quadratmeter großen Appartements gibt es eine eigene Toilette, eine Dusche, einen Telefonanschluss und mit etwas Glück sogar die Aussicht über die ganze Stadt.

Pünktlich zum Jubiläum sind vier neue Appartements fertiggestellt worden. Sie sind mit 28 Quadratmetern noch größer. Haussprecherin Monika Wiebe (25) hat eines der sanierten Zimmer bezogen, die besonders für Rollifahrer gebraucht werden, die auch ihre Hände nur eingeschränkt bewegen können.

Per Fernbedienung kann die Psychologiestudentin Licht, Jalousien, Heizung, Fenster und Tür bedienen. Das Bad ist so groß, dass ein Hebelift Platz hat. Der einzige Nachteil: Die neuen Appartements ballen sich im dritten Stockwerk, so dass die Rollifahrer dort zunächst in der Mehrheit sind.

Die Kosten für die Pflege werden in der Regel von den Landessozialbehörden übernommen. Doch dabei gibt es zunehmend Probleme, kritisiert Schwan.

Viele Ämter nötigten die Rollifahrer nach dem Bachelor-Abschluss zum Auszug, obgleich diese oft gerne noch bis zum Master weiterstudieren wollen. Das kann Schwan nicht nachvollziehen. "Die meisten Studenten", sagt sie, "ziehen ihr Studium straight durch".

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