"Praxis ohne Grenzen" - Segeberger Arzt hilft Armen

BAD SEGEBERG (dpa). Da war diese Frau, eine allein erziehende Mutter mit drei Kindern und ohne Geld. Kein Geld fürs Essen, kein Geld für die Praxisgebühr, kein Geld für die Zuzahlung zu den Medikamenten. Sie kam an einem Freitagnachmittag in die Arztpraxis von Uwe Denker aus Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. Er nahm keine Gebühr und gab ihr die Medizin für die Kinder aus seinem Vorrat an Ärztemustern.

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Das ist schon ein paar Jahre her, doch Denker erinnert sich noch an die mittellose Frau. Menschen wie ihr will er jetzt helfen. Am kommenden Mittwoch (20. Januar) startet er zusammen mit der Hilfsorganisation Segeberger Tafel eine "Praxis ohne Grenzen". Nach Angaben der Tafel ist diese Kooperation ein bundesweit einmaliges Projekt.

"Die Tafel gibt Lebensmittel aus, wir geben die Mittel zum Leben", sagt der 71-Jährige. Einmal in der Woche will er eine Sprechstunde abhalten. Die Patienten müssen nicht versichert sein, dürfen anonym bleiben, bekommen keine Rechnung, aber Medikamente. Nachweisen müssen sie nichts. "Ich verlange kein Armutszeugnis", sagt der Allgemeinmediziner und Kinderarzt im Ruhestand.

Offiziell gibt es bundesweit zehntausende Menschen ohne Krankenversicherungsschutz. Die Dunkelziffer liegt aber deutlich höher. Der Medizinmanager Jürgen Wasem von der Universität Essen-Duisburg schätzt, dass vor allem Immigranten, die sich illegal in Deutschland aufhalten, betroffen sind. Er spricht von 500 000 bis zu einer Million. Außerdem hätten vermutlich mehr als 100 000 Obdachlose keine Versicherung, sagt der Wissenschaftler, der über Menschen ohne Versicherungsschutz geforscht hat.

In Großstädten gibt es bereits Hilfsangebote für arme Patienten, etwa die Malteser Migranten Medizin, Krankenstuben für Obdachlose oder Arztmobile. Aber im ländlichen Raum wachse der Bedarf, sagt Denker. "Die Armut nimmt zu. Es fallen viele durchs soziale Netz." Denkers Idee findet viel Zuspruch: Drei andere Ärzte aus der Region haben ihre Mitarbeit bei der Sprechstunde zugesagt, ein Lübecker Laborarzt will kostenlos Blut untersuchen. Außerdem stehen Krankenschwestern und Arzthelferinnen bereit. Im Hintergrund überwacht ein Apotheker die Medikamente. Auch viele Sponsoren wollen helfen, die Praxis aufzubauen.

An die vielen Unterstützer sei er dank der Tafel gekommen, sagt Denker. Die Kooperation hat weitere Vorteile. Die Sponsoren bekommen Spendenbescheinigungen der Tafel ausgestellt. "Die Klientel kommt zu uns. Und wir haben gleich die Anlaufstelle zum Arzt", erklärt die Vorsitzende der Segeberger Tafel, Herdis Hagemann.

Mehrere Jahre lang hat Denker an der Idee geschmiedet und nach Räumen gesucht. Jetzt startet er fürs Erste in einem Konferenzraum der Arbeiterwohlfahrt. "Das ist hochgradig provisorisch. Ich kann keine Geräte aufstellen; ich muss alles aus der Arzttasche machen." Aber bald kann er mit seinem Team in einen etwa 70 Quadratmeter großen Container ziehen, der auf dem Gelände der Tafel stehen soll.

Der Container muss noch zur Praxis umgerüstet werden. Ausgestattet wird er etwa mit einem Ultraschallgerät, einem EKG und kleinen Laborgeräten. Ein Problem wird es sein, an Medikamente zu kommen. "Bundesweit werden unvorstellbare Mengen an brauchbaren Medikamenten vernichtet, das kann nicht sein", sagt Denker. Erstmal wird er nicht benötigte Mittel von Altenheimen bekommen. Außerdem will die Medikamentenhilfe für Menschen in Not aus Aumühle bei Hamburg ihn unterstützen. Sie sammelt bei Ärzten nicht gebrauchte Muster ein und schickt sie vor allem nach Rumänien. "Aber wir wollen auch vor Ort helfen", sagt die Gründerin Sonne Leddin.

Das Sozialamt hat Denker vorgerechnet, dass er zunächst mit etwa 50 Patienten rechnen kann. Wie viele am ersten Praxistag tatsächlich vor seiner Tür stehen werden, kann der Arzt nicht einschätzen. Mit seiner "Praxis ohne Grenzen" will er nicht nur Einzelnen helfen: "Wir wollen Impulse im Gesundheitswesen setzen. Denn irgendwann ziehe ich mich zurück."

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