Brüche, Verbrennungen, Kopfverletzungen: Ärzte in Haiti arbeiten rund um die Uhr

Die Kollegen von "Ärzte ohne Grenzen" versorgen in Haiti derzeit viele hundert Patienten pro Tag. Übers Wochenende wurde die Zahl der Helfer noch einmal erhöht. Gefragt ist vor allem chirurgische Kompetenz.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Verletzte warten auf eine Behandlung auf dem Gelände der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti. © dpa

Verletzte warten auf eine Behandlung auf dem Gelände der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti. © dpa

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Am Freitagfrüh war es so weit: In Brüssel startete ein Flugzeug von "Ärzte ohne Grenzen", das ein so genanntes aufblasbares Krankenhaus an Bord hatte. Nach Ankunft in Haiti kann diese Klinik binnen weniger Tage ihren Betrieb aufnehmen. "Diese Einrichtung verfügt über zwei Operationssäle und über einhundert Betten für stationäre Aufnahmen", berichtete Claudia Evers, Sprecherin der Hilfsorganisation, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Besonders Kenntnisse in Chirurgie werden gebraucht

Chirurgische Kompetenz ist das, was in Haiti derzeit am meisten gebraucht wird. "Unsere Ärzte sehen vor allem Patienten mit Knochenbrüchen, Abschürfungen und Kopfverletzungen", so Evers. Weil in den zerstörten Stadtvierteln und Dörfern immer wieder Feuer ausbrechen, sind auch Verbrennungen nicht selten. Dazu kommen unzählige Menschen, die durch das Chaos der vergangenen Tage so geschwächt sind, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Während die geschwächten Menschen vor allem in ambulanten Hilfseinrichtungen betreut werden, werden in dem Krankenhaus von "Ärzte ohne Grenzen" schwerpunktmäßig Unfallopfer versorgt. Dank der stationären Kapazitäten können dabei auch Schwerverletzte betreut werden.

"Das aufblasbare Krankenhaus versetzt uns in die Lage, 24 Stunden am Tag chirurgische Hilfe anbieten zu können", so Evers. Rund um die Uhr arbeiten die Ärzte vor Ort freilich schon seit Tagen. Anders als viele andere Hilfsorganisationen konnte "Ärzte ohne Grenzen" mit der Notfallhilfe sofort begingen, weil die Organisation bereits vor der Katastrophe in Haiti drei Krankenhäuser mit 31 internationalen Ärzten und rund 800 nationalen Mitarbeitern betrieben hat. Zwar wurden diese Krankenhäuser durch das Erdbeben komplett zerstört. Die 31 internationalen Ärzte haben die Katastrophe aber ausnahmslos überlebt. Und auch mit den meisten der 800 nationalen Mitarbeiter sei es mittlerweile gelungen, Kontakt aufzunehmen, so Evers.

Die Patienten, die zum Zeitpunkt der Katastrophe in den drei Kliniken der Organisation in Behandlung waren, konnten mittlerweile evakuiert werden. "Sie sind in Zelten untergebracht und werden von unseren Mitarbeitern versorgt", so Evers.

Dass die Kollegen sofort vor Ort waren, war für viele Erdbebenopfer ein Segen: Allein in den ersten beiden Tagen nach dem Erdbeben wurden durch das Team von "Ärzte ohne Grenzen" über 1500 Patienten behandelt. Und die Kapazitäten werden noch weiter aufgestockt: Am Freitagnachmittag kam die Nachricht, dass 18 weitere internationale Ärzte nach der Landung in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik das Katastrophengebiet in Haiti auf dem Landweg erreicht hätten. Damit hat "Ärzte ohne Grenzen" jetzt 49 internationale Ärzte vor Ort. Die Organisation wird die Zahl seiner internationalen Ärzte auf 70 aufstocken.

Schon vor der Katastrophe wurden Vorräte angelegt

Dass die Versorgung mit Medikamenten im Katastrophengebiet zusammengebrochen sei, wie in einigen Medien berichtet wurde, kann "Ärzte ohne Grenzen" zumindest für die eigenen Einrichtungen derzeit nicht bestätigen. Auch hier zahlt sich aus, dass die Organisation schon vor Ort war: "Wir hatten relativ umfangreiche Notfallvorräte an Medikamenten und auch an medizinischen Materialien angelegt, die jetzt gute Dienste leisten. Nachdem die Hilfslieferungen mittlerweile ankommen, sehen wir hier im Moment nicht das entscheidende Problem", so Evers.

Eine der kritischen Fragen der nächsten Tage dürfte sein, ob es gelingt, zu verhindern, dass Seuchen ausbrechen. "Diese Gefahr besteht nach solchen Katastrophen immer", so Evers. Bis zum Wochenende hatten sich die Befürchtungen jedoch noch nicht bewahrheitet. Ganz enorm ist die Spendenbereitschaft der internationalen Gemeinschaft. "Vor allem in den USA werden erhebliche Summen gespendet", so Evers. Das Spendenaufkommen sei mittlerweile so hoch, dass nicht mehr garantiert werden könne, dass eingehende Gelder wirklich nach Haiti fließen. Trotzdem bleiben die Spendenaufrufe gültig, weil das Engagement der Hilfsorganisationen in Haiti über die akute Krise weit hinausreichen wird.

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