Bremen ist ein Abbild Deutschlands

Bremen stellt Deutschland im Kleinen dar: Das macht sich das Marktforschungsunternehmen Bonsai zu eigen und testet an den Bremer Bürgern den Verkauf von Schmerzmitteln oder Windeln. Selbst Krankenkassen gehören zu den Auftraggebern.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

BREMEN. Bremen ist der perfekte Testmarkt für ganz Deutschland. Denn die Stadt ist, was eigentlich keiner sein will: Durchschnitt - und damit ein Paradies für Marktforscher - auch bei Akzeptanztests von OTC-Präparaten, Dienstleistungen von Krankenkassen oder sogar rezeptpflichtigen Arzneimitteln hat das Verhalten der Bremer großen Einfluss.

Seit 2003 floriert in der Hansestadt Bremen das Geschäft von "Bonsai Deutschland". Aber es dreht sich nicht um die japanischen Baum-Winzlinge, sondern um eine Eigenschaft der Stadt, die kaum jemand kennt: Bremen ist Deutschland in Kleinformat.

In vieler Hinsicht ist die Stadt ein kleines Abbild der großen Republik: Einkommensverteilung, Altersstruktur oder Konsumgewohnheiten entsprechen den bundesdeutschen Verhältnissen. Bonsai Deutschland ist ein Bremer Marktforschungsunternehmen, das sich diese Besonderheit zunutze macht.

In Bremen erfolgt die Generalaufführung

Zusammen mit der großen Schwester "Infratest", zu der das Bremer Unternehmen gehört, testen die Mitarbeiter in Bremen den Verkauf von Schmerzmitteln, Windeln oder Salzbrezeln. Pharmahersteller wie Pfizer, Krankenkassen oder der Konsumgüterriese Procter und Gamble, der das Waschmittel "Ariel" oder die Windeln "Pampers" vertreibt, beauftragen Bonsai mit der Generalprobe für die Uraufführung ihrer neuen Produkte in Deutschland. "Sie wollen im Kleinen probieren, was im Großen nicht schief gehen soll", erklärt Geschäftsführer Norbert Hegmann. "Was Bremen kann, kann Deutschland", lautet denn auch das Motto der Firma.

Rund zwei Drittel der Aufträge kommen aus der Gesundheitsbranche, so Hegmann. So kooperiert Bonsai mit rund 280 Bremer Hausärzten. Sie berichten dem Unternehmen etwa, wie oft sie mit ihren Patienten ein Informationsgespräch über ein bestimmtes Nahrungsergänzungsmittel, Schmerzmittel oder über ein rezeptfreies Medikament geführt haben. "Alles komplett anonymisiert", wie Hegmann betont. Auch bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln funktioniert der Kniff. Bonsai überprüft die Wirkung von Fernseh-Aufklärungskampagnen etwa zu den Gefahren von Cholesterin. Per Sondergenehmigung dürfen in Bremen 60 Sekunden mehr Werbezeit im Fernsehen ausgestrahlt werden als im übrigen Bundesgebiet.

Dazu verfügt die Firma über ein eigenes Studio, das Werbeeinblendungen verändern oder herstellen kann. Während dann ganz Deutschland den Vorspann von "Columbo" sieht, flimmert in Bremen ein Aufklärungsstreifen zum Thema Cholesterin über den Bildschirm. Zwar darf in der Spots nicht geworben werden für verschreibungspflichtige Medikamente, aber nach der Ausstrahlung prüft Bonsai die Abverkaufszahlen der kooperierenden Bremer Apotheken und die Rezepte für Cholesterinsenker.

"So können wir erkennen, ob solche Imagekampagnen funktionieren", sagt Hegmann, "Wir haben eine gute Trefferquote von plus-minus zehn Prozent im Vergleich zu ganz Deutschland."

Die Apotheken und Ärzte, die mitmachen, bekommen einmalig 25 Euro für ihre Dienste. "Die Beträge sind derart gering, dass sie für die Praxen oder Filialen nichts bedeuten", sagt Hegmann.

Auch die Krankenkassen lassen bei Bonsai testen, ob ihre speziellen Leistungen bei den Kunden bekannt sind, ob die Kassenkunden der einen Kasse lieber zur anderen wechseln würden oder ob sie - wie die Marktforscher sagen - "markenloyal" sind. Bei der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ist diese Loyalität zum Beispiel dramatisch abgestürzt. "In einer ersten Umfrage war die Zustimmung groß, in einer viel späteren sehr gering", so Hegmann.

Das Geschäft an der Weser läuft glänzend

Zum Ausprobieren gehört auch die Erfolgskontrolle. In den oft neunmonatigen Testphasen liegen auch Zeitblöcke mit "geringem Werbedruck", wie die Fachleute sagen. Dann erheben die 15 Bonsai-Mitarbeiter per Online-Umfrage den "Awareness-Schub", gemeint ist die gesteigerte Aufmerksamkeit. Kurz: Sind Pillen, Windeln und Cremes in Bremen jetzt bekannter? Wenn ja, so wachsen meist auch der Umsatz und der Marktanteil. Und wenn nicht? Dann würde das Produkt kaum den Weg in alle deutschen Regale finden.

Das Geschäft an der Weser läuft glänzend, freut sich Geschäftsführer Hegmann: "Wir verzeichnen im Schnitt zehn Prozent Umsatzsteigerung im Jahr." Der passende Name dürfte den Erfolg beflügelt haben. Auch wenn das Unternehmen um ein Haar auf die Anleihe aus Japan hätte verzichten müssen.

"Monatelang haben wir uns mit den Behörden darum gestritten, ob wir Bonsai heißen dürfen, obwohl wir gar keine Bonsais verkaufen", erinnert sich Hegmann. "Irgendwann hab' ich gesagt, dann handeln wir eben damit - und sofort hat das Amt unserem Namenswunsch zugestimmt." Seither hat das Unternehmen Bonsai Deutschland zwei der Bäumchen verkauft.

www.bonsai-deutschland.de

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