Künstlich synthetisiertes Bakteriengenom ist ein Meilenstein der Gentechnik

Die Synthese eines Bakteriengenoms durch US-Wissenschaftler ist ein mit sehr viel Aufwand erzielter Forschungserfolg. Befürchtungen, es könnte neues Leben geschaffen worden sein, entbehren jeder Grundlage.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:

Es ist eine technische Meisterleistung, die US-Forschern jetzt gelungen ist - Mikroorganismen zu züchten, die ein synthetisch hergestelltes Erbgut in sich tragen (wir berichteten online). Zuvor war das - im wesentlich kleineren Maßstab - bereits 2003 bei Viren gelungen, die Bakterien befallen, aber mit einem so großen Erbgut wie dem von Mycoplasma mycoides bisher noch nicht. 

Manche fordern schon jetzt Konsequenzen in der Gesetzgebung, doch Professor Jörg Hacker, Mikrobiologe, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und ehemaliger Leiter des Robert-Koch-Instituts in Berlin sieht das anders: "Diese Technologie erfordert momentan noch keinen Regelungsbedarf, etwa in Hinblick auf das Gentechnikgesetz, jedoch muss man die jeweiligen Experimente beurteilen und wenn nötig regulatorisch eingreifen", wie er der F.A.Z. mitteilt. Für Gentechnik-Forscher weltweit ist der Erfolg der Wissenschaftler um Dr. Craig Venter aus Rockville in Maryland ein Meilenstein. Was haben die US-Forscher genau gemacht?

Mehr als eine Dekade lang haben die Wissenschaftler daran gearbeitet, das Erbgut des Bakteriums Mycoplasma mycoides aus kurzen DNA-Fragmenten, die sie bei dem Unternehmen Blue Heron Biotechnology kauften, zusammenzusetzen. Sie richteten sich dabei nach dem zuvor entschlüsselten Bauplan aus mehr als einer Million Bausteinen. Für das Zusammensetzen der einzelnen Bausteine im Labor nutzten sie Zellen der Hefe Saccharomyces cerevisiae. 

Nachdem in diesen Zellen das Mycoplasma-Erbgut komplettiert war, wurde es in eine andere Mycoplasma-Art, nämlich Mycoplasma capricolum, übertragen. Diese Bakterien waren zuvor so verändert worden, dass sie die für sie fremde DNA nicht zerstörten. Nach der Übertragung des in den Hefezellen synthetisierten Genoms übernahm dieses Erbgut die Kontrolle über alle Lebensvorgänge in den Mycoplasma-capricolum-Zellen. 

Das bedeutet: Es lieferte den Bauplan für die Synthese neuer Eiweißmoleküle, die unter anderen die Teilung und damit Vermehrung der neuen Mycoplasma-Art ermöglichen. Der neue Bakterienstamm erhielt die Bezeichnung JCVI-syn1.0 (Science online); das Kürzel steht für J. Craig Venter Institut.

Die US-Forscher bezeichnen zwar die nach der Übertragung des künstlich hergestellten Genoms entstandenen Zellen als synthetisch, geben aber zu bedenken, dass natürlich das Zellplasma der Empfängerbakterien nicht synthetisch ist. Allerdings: Nach mehr als 30 Zellteilungen enthielten die Nachkommen keine Eiweißmoleküle mehr, die nach dem Bauplan der ursprünglichen Bakterienzelle synthetisiert wurden.

Für Venter und seine Kollegen ist klar: Ihr Erfolg belege, dass sich Zellen mit einem per Computer konstruierten Erbgut schaffen lassen - auch wenn das jetzt in ihren Versuchen verwendete Erbgut nur minimale Abweichungen vom Ausgangserbgut aufweist. Die Wissenschaftler sind überzeugt davon, dass sich mit ihrem Verfahren künftig neuartige Genome synthetisieren lassen, die es vorher so nicht gab. 

Denkbar ist etwa, gezielt DNA-Moleküle zu konstruieren, mit deren Hilfe Medikamente oder Biosprit produziert werden können. Dafür müssen jedoch noch viele Hürden überwunden werden, bis sich das realisieren lässt, stellt der US-Molekulargenetiker Dr. Paul Keim aus Flagstaff in Arizona klar.

Haben die US-Wissenschaftler künstliches Leben erzeugt? Für Dr. Regine Kollek von der Universität Hamburg, Professorin für Technologiefolgenabschätzung der modernen Biotechnologie in der Medizin, sei Venters Forschungserfolg noch lange nicht das Schaffen künstlichen Lebens, so Kollek zur F.A.Z..

Der Moraltheologe Professor Eberhard Schockenhoff aus Freiburg, Mitglied des Ethikrates, erkennt in seiner Stellungnahme bei Radio Vatikan die wissenschaftliche Leistung der Forscher an: Allerdings lasse sich das Leben nicht auf seine genetischen Informationen beschränken.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kein Stoff für Horrorszenarien

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