Einmal die Woche geht's in den Knast

Engagement im Ruhestand: Ex-Ärztekammerpräsident Professor Heyo Eckel (75) behandelt Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Professor Heyo Eckel vor seinem "Teilzeitarbeitsplatz", der Justizvollzugsanstalt Rosdorf bei Göttingen.

Professor Heyo Eckel vor seinem "Teilzeitarbeitsplatz", der Justizvollzugsanstalt Rosdorf bei Göttingen.

© Rink (2)

GÖTTINGEN. Er hat länger gearbeitet als viele andere. Erst mit 71 ist Professor Heyo Eckel, der langjährige Präsident der Ärztekammer Niedersachsen und Ärztlicher Direktor des Evangelischen Krankenhauses Göttingen-Weende, in den Ruhestand gegangen. Das war im Frühjahr 2006. Doch der vielfach ausgezeichnete Mediziner und Mitbegründer der Stiftung "Kinder von Tschernobyl", der sich stets auch sozial und umweltpolitisch engagiert hat, ist immer noch aktiv. Jeden Freitagmorgen hält der 75-Jährige seine Sprechstunde ab. Dafür muss er einen besonderen Ort aufsuchen: Eckel betreut die Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Rosdorf bei Göttingen.

"Es ist eine Verpflichtung dort zu helfen, wo man kann"

Der Radiologe ist einer von vier Vertragsärzten, die jeweils einmal pro Woche in dem Gefängnis tätig sind. Er ist bereits seit der Inbetriebnahme des Gefängnisses im Sommer 2007 mit dabei. Eigentlich sollte er dort die Röntgendiagnostik übernehmen. Da er früher auch internistisch tätig gewesen war, fragte ihn der hauptamtliche Anstaltsarzt, ob er ihn gelegentlich vertreten könne. Eckel sagte sofort zu. "Ich sehe es als eine gewisse Verpflichtung an, dort, wo man es kann, auszuhelfen." Aus dem "Gelegenheitsjob" wurde indes schnell eine regelmäßige Beschäftigung. "Ich mache das gern", sagt der Arzt.

Die Justizvollzugsanstalt verfügt auch über ein Krankenzimmer.

Aufgrund der äußeren Bedingungen unterscheidet sich diese Arbeit allerdings stark von seinen früheren ärztlichen Tätigkeiten. "Es ist hier schon eine andere Welt", sagt Eckel. So kann er zum Beispiel nicht schnurstracks zum Sprechzimmer gehen. Der Weg dorthin ist weit und durch vier Türen versperrt. An jeder Pforte muss er geduldig warten, bis der Zugang frei gegeben wird. "Im Schnitt dauert es acht Minuten, bis ich auf der Station bin", erzählt Eckel.

Die Sprechstunde dauert jeweils von 8 bis 13 Uhr, meistens kommen etwa 30 Gefangene. Dabei gibt es eine klare Trennung: An einem Tag können nur Untersuchungsgefangene den diensthabenden Arzt konsultieren, am nächsten Tag nur Strafgefangene. Anders als sonst in Sprechstunden üblich, ist der Arzt nie allein mit dem Patienten. Aus Sicherheitsgründen muss immer auch einer der insgesamt sieben Mitarbeiter des medizinischen Fachpersonals im Sprechzimmer anwesend sein. "Die ärztliche Schweigepflicht gilt hier allerdings genauso wie überall sonst auch", sagt Eckel. "Hier gilt sie sogar in besonderem Maße." Nur bei Gefahr für Leib und Leben könne von dieser Grundregel für das Arzt-Patienten-Verhältnis abgewichen werden. Dies sei aber noch nicht vorgekommen.

Eckel nimmt sich Zeit für seine Patienten. "Ich lege großen Wert darauf, mit den Gefangenen Gespräche zu führen", sagt der Arzt. Dabei vermeide er es, in ihre Strafakte zu schauen. Viele erzählen spontan von sich aus, warum sie im Gefängnis gelandet sind, nicht selten breiten sie ihre ganze Lebensgeschichte aus. "Viele Häftlinge sind unter schlimmsten Bedingungen aufgewachsen", sagt Eckel. "Für sie ist es sehr wohltuend, wenn man ihnen ärztliche Empathie entgegenbringt."

Ein erheblicher Prozentsatz der Gefangenen ist drogenabhängig. "Diese Patienten sind oft in einem sehr schlechten Gesundheitszustand", berichtet der Radiologe. Vor allem das Gebiss leide unter der oft jahrelangen Verwahrlosung: "Ich habe noch nie solche schlechten Zähne gesehen." Alle Drogenabhängigen können in der Anstalt eine Entzugstherapie machen.

Viele verletzen sich beim Anstaltssport

Auch der Anteil an Hepatitis-Patienten und HIV-Infizierten in den Haftanstalten ist deutlich höher als in der sonstigen Bevölkerung. Viele Gefangene litten auch unter psychischen Störungen, sagt Eckel. Deshalb sei es auch eine große Erleichterung, dass die Gefängnisärzte auch einen Psychiater konsiliarisch hinzuziehen können. Häufig kommen auch Gefangene in seine Sprechstunde, die sich beim Anstaltssport verletzt haben. "Beim Sport gehen viele hart ran." Alle Gefangenen werden nach den geltenden medizinischen Standards behandelt. "Da gibt es keine Abweichung", betont der Radiologe.

Auch technisch sei die Ausstattung in der Rosdorfer Haftanstalt auf dem neuesten Stand. So können die Mediziner EKG-, Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen vornehmen, auch Geräte zur Notfallbehandlung sind vorhanden. Insgesamt wertet Eckel seine "Teilzeitarbeit" als wichtige Erfahrung. Ans Aufhören denkt der 75-Jährige bislang nicht: "Es ist eine sehr interessante, notwendige und in vielem auch menschlich befriedigende Tätigkeit."

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